Von all den vielen schönen Seiten des Weinbauern-Daseins sind mir die Wochen nach der Weinlese am allerliebsten. Es gibt wenige Dinge die faszinierender sind, als die Entwicklung der ganz jungen Weinen zu verfolgen.
Meistens geht es dabei recht entspannt zu, denn wenn während der Lese alles gut gelaufen ist, gibt es dabei nur wenig zu tun. Und weil zu dieser Zeit das Pflegen der Früchte des ganzen Arbeitsjahres Vorrang hat, bemühen wir uns auch, sie frei von stressigen Terminen zu halten.
Praktisch täglich verkoste ich derzeit den neuen Jahrgang, um auch kleinste Veränderungen rechtzeitig einschätzen zu können. Die jungen Weine entwickeln sich in den ersten Wochen nach der Gärung nämlich extrem schnell und es ist wichtig unterscheiden zu lernen, ob eine veränderte Geschmackswahrnehmung gegenüber dem Vortag am Verkoster – also an mir – liegt, oder ob tatsächlich der Wein eine bestimmte Richtung einschlägt.
Dieses Wissen hilft dann unmittelbar bei anstehenden Entscheidungen, also z.B. ob und wann ein Wein von der Hefe abgezogen werden sollte, ob für seine weitere Entwicklung ein Stahltank besser wäre oder ein Holzfass, etc., aber auch beim späteren Verschneiden vor der Abfüllung mit anderen Chargen (der gleichen Sorte oder auch anderer Sorten bei Cuvées), weil man ein tieferes Verständnis vom Wesen des jeweiligen Weines hat. (Hier habe ich schon einmal genauer darüber geschrieben, was in dieser Zeit im Keller los ist.)
Heute ist auf jeden Fall ein milder Tag. Nicht nur beim Wetter, sondern auch auf meinem Gaumen. Schon beim zweiten Wein der Vormittags-Verkostung war ich mir sicher, dass mein Säureempfinden heute aus welchen Gründen auch immer etwas gedämpft ist. Dementsprechend werde ich z.B. bei den Rotweinen von den heutigen sensorischen Eindrücken nicht auf einen biologischen Säureabbau schließen und meine Weinanalytik im Nutellaglas anwerfen, sondern damit zumindest die morgige Verkostung abwarten.