Von der Traube zum Weißwein, Teil 6

Die ersten Jungwein-Wochen, eine Schlüsselphase für Qualität und Stil

Die Gärung ist zwar die Geburtsstunde des Weines, aber während die Hefe arbeitet, hat der Kellermeister kaum Einflußmöglichkeiten auf die Entwicklung des Weines. Jede Gärung ist anders, und selbst wenn man den gleichen Most in zwei verschiedenen Tanks mit der gleichen Reinzuchthefe bei der exakt gleichen Gärtemperatur vergärt, werden sich beide Chargen (wenn auch meist nur geringfügig) unterscheiden.

Wenn der Kellermeister vor der Gärung die Weichen richtig gestellt hat, läuft die Gärung meist (aber bei weitem nicht immer) so, wie erhofft und erwartet. Wirklich spannend wird es in der Endphase der Gärung und während der ersten Jungwein-Wochen. Die folgenden Aussagen gelten für trockene oder zumindest annähernd trockene Weine, treffen aber zum Teil auch auf Süßweine zu.

Die Hefe und ihr Einfluß auf die Reifung

In der Endphase der Gärung reicht die CO2-Entwicklung nicht mehr aus, um alle Hefezellen und Trubteilchen in Schwebe zu halten. Am Boden des Gärbehälters bildet sich ein (je nach Mostvorklärung mehr oder weniger dicker) Bodensatz, das sogenannte Geläger. Abgestorbene Hefezellen haben ein enormes Reduktionspotential, das heißt, sie sind in der Lage gewaltige Mengen an Sauerstoff an sich zu binden. Im Geläger herrscht also so etwas wie extremer Sauerstoffmangel, vor allem, wenn der Bodensatz wegen schlechter Mostvorklärung sehr dick, und der Behälter sehr schmal und hoch ist (was den Druck des darüberliegenden Weines auf das Geläger erhöht).

In diesem Milieu können Reduktionsaromen entstehen, die in ihrer Anfangsphase an gekochte Erbsen und Kohl und später auch an faule Eier erinnern. Die Reduktivität des Gelägers bremst also nicht nur die Entwicklung des Weines, sondern kann auch zu echten Weinfehlern, dem sogenannten Böckser führen. Um bereits geringste Fehlentwicklungen zu erkennen, wird nicht nur der Jungwein täglich verkostet, sondern auch täglich an einer Gelägerprobe vom Restablauf des Tanks gerochen.

Trotzdem ist es sinnvoll, den Wein erst einige Tage, Wochen oder Monate von der Hefe abzuziehen, wenn diese „gesund“ ist. Die Hefe leistet nach der Gärung nicht nur einen Beitrag zur Stabilisierung von Eiweiß und Weinsteinkristallen im Jungwein, sondern trägt auch zu einem volleren, harmonischeren Geschmacksbild bei. Die Hefezellen geben mit der Zeit nämlich verschiedene Stoffe an den Wein ab, die ihn vollmundiger und aromatisch komplexer erscheinen lassen. Außerdem verringert eine längere Hefelagerung die Gärungsnebenprodukte, die einen Teil des SO2 der ersten Jungweinschwefelung an sich binden und hält Jungweine auch bei geringer Schweflung lange frisch und positiv reduktiv.

In Holzfässern ist die Böcksergefahr deutlich geringer, als in Tanks, was vermutlich an der Form und am Sauerstoffzutritt durch die Poren des Holzes liegt. Um die Gefahr von Reduktionsaromen (Böcksern) zu verringern und die positiven Effekte auf die Komplexität und Frische des Weines optimal zu nützen kann es sinnvoll sein, das Geläger täglich oder zumindest wöchentlich aufzurühren (solange es geruchlich in Ordnung ist). Das verhindert einen zu reduktiven Bodensatz und führ zu einem intensiven Kontakt des Jungweines mit den Hefezellen.

Biologischer Säureabbau

Wird der Wein dabei (noch) nicht geschwefelt und ist es nicht zu kalt im Keller, beginnt dabei relativ leicht ein spontaner biologischer Säureabbau, da die Hefezellen auch ein guter Nährboden für andere Mikroorganismen sind. Der biologische Säureabbau (BSA) ist eine „Gärung“, bei der Bakterien etwa die Hälfte der im Wein vorhandenen Äpfelsäure in CO2 umwandeln (das aus dem Faß „blubbert“) und die andere Hälfte in Milchsäure. Der Gesamtsäuregehalt wird so reduziert, und die Säurezusammensetzung des Weines verändert, was zu einem weicheren, runderen Geschmack führt. Dabei geht allerdings auch ein Teil der Fruchtigkeit und Frische verloren, weshalb der BSA beim Weißwein in Österreich (und Deutschland) eher selten angewandt wird.

Findet der BSA bei noch vorhandenem Restzucker statt, ist die Gefahr einer Essigsäurebildung sehr groß. Die  Bakterien „fressen“ nämlich lieber Zucker statt Äpfelsäure, wenn solcher vorhanden ist. Aus Zucker bilden sie allerdings keine Milchsäure, sondern flüchtige Säuren, die über einer gewissen Toleranzschwelle als Weinfehler „Essigstich“ bezeichnet werden.

Sauerstoff und SO2

Gerade während er Jungweinphase ist ein gewisses Maß an Sauerstoff für die Entwicklung des Weines unumgänglich. Extrem reduktiv verarbeitete Weine, die sehr früh von der Hefe abgezogen, geschwefelt und abgefüllt werden wirken oft sehr einförmig, verschlossen und haben meist nur wenig Entwicklungspotential. Zuviel Sauerstoff führt aber zu schädlicher Oxidation, weshalb die Gärbehälter am Ende der Gärung oder bald danach vollgefüllt werden („Rauhe Fülle“). Während der Gärung läßt man dem blubbernden und schäumenden Wein einen gewissen Steigraum. Da laufend CO2 gebildet wird, besteht dabei keinerlei Oxidationsgefahr. 

Eine weit verbreitete Lehrmeinung besagt, der Wein müsse nach Gärende möglichst bald vom Geläger abgezogen und mit etwa 70 mg/l SO2 geschwefelt werden, damit er von Anfang an schwefelstabil sei.

Nützt man die Reduktionskraft der Hefe und füllt den gärungsbedingten Steigraum im Gärbehälter nach der Gärung rasch auf, um dem Sauerstoff keine allzugroße Kontaktoberfläche zu bieten, kann die Schwefelung auch später und mit geringerer Dosis (z.B. 40 mg/l) erfolgen. Wenn man bei laufender sensorischer Kontrolle die Jungweinschwefelung ohne Oxidationsschaden bis einige Tage oder vielleicht sogar eine Woche nach Gärende hinauszögert, verringert das die notwendige SO2-Menge und fördert die Entwicklung des Weines.

Die Jungweinschwefelung erfüllt mehrere Aufgaben und ohne sie ist der Weinstil, den wir gewöhnt sind nicht denkbar (Ausnahmen bestätigen die Regel.). Die „Schwefelung“ von Wein war schon den Ägyptern bekannt und wurde von Griechen und Römern weiterentwickelt.

Ein Teil des zugegebenen SO2 verbindet sich mit Gärungsnebenprodukten und macht sie so geschmacklich unwirksam und weniger oxidationsanfällig. Dieser Teil ist zwar noch im Wein vorhanden, allerdings nicht mehr wirksam sondern nur noch „gebunden“. Der „freie“ Teil des SO2 wirkt gegen Mikroorganismen (in den erlaubten Mengen allerdings nur recht begrenzt, z.B. gegen Säureabbaubakterien), gegen Enzyme (z.B. von Botrytis, die die Oxidation fördern) und vor allem gegen Oxidation durch Sauerstoff aus der Luft.

Wenn ein SO2-Molekül gegen Oxidation aktiv wird, wird es dabei abgebunden und zählt nicht mehr zum freien sondern nur noch zum gebundenen (unwirksamen) SO2. Da der Wein laufend dem Luftsauerstoff ausgesetzt ist, nimmt der freie (wirksame) SO2-Spiegel von der Jungweinschwefelung an laufend ab und muß von Zeit zu Zeit kontrolliert und gegebenenfalls ergänzt werden. Dieser Vorgang kann nicht beliebig wiederholt werden, da das Weingesetz Obergrenzen für die gesamte Menge (frei plus gebunden) SO2 vorschreibt, die bei der Prüfnummer auch kontrolliert werden.

Kosten, kosten, kosten

In den ersten Tagen nach der Gärung entwickelt sich der Wein in atemberaubendem Tempo. Gestern noch gärender Sturm, über den sich kaum eine geschmackliche Aussage treffen läßt, heute ein Jungwein, der schon Harmonie und Säurestruktur erkennen läßt, aromatisch aber noch vom Gäraroma dominiert wird und morgen die ersten Anzeichen des Sortenbuketts, das sich von Tag zu Tag entwickelt und intensiviert.

Binnen Stunden kann der Wein eine unerwünschte Richtung einschlagen, die sich in der Regel mit harmlosen Maßnahmen korrigieren läßt, wenn man sie frühzeitig erkennt. So kann man das Abziehen vom Geläger vorverlegen, wenn die aromatische Entwicklung reduktiv (nach gekochten Erbsen) erscheint anstatt zu warten, bis der Wein nach faulen Eiern stinkt und dann zu versuchen mit allerlei Reparaturschönungen zu retten, was noch zu retten ist.

Man kann die Hefe aufrühren, wenn sie in Ordung ist und der Wein zu „offen“ (einer noch nicht negativen Vorstufe der Oxidation) ist. Oder die Jungweinschwefelung etwas vorziehen oder etwas höher dosieren. Gelegentlich tut dem Wein auch ein Umziehen in einen anderen Behälter samt damit verbundener Belüftung gut. Sehr oft aber „braucht“ der Wein einfach seine Ruhe und seine Zeit.

Um das beurteilen zu können, wir der Wein in dieser Phase täglich (und manchmal sogar mehrmals) verkostet. Dadurch lernt man den neuen Jahrgang in allen Lebenslagen kennen: Wenn man selbst gut aufgelegt ist, oder der Wein gut drauf ist. Wenn man selbst verschlossen ist, oder der Wein „zugemacht“ hat. Wenn man vorher etwas gegessen hat, oder nicht. In verschiedener Reihenfolge, vom Geläger oder von weiter oben. Und, und, und.

13 Gedanken zu „Von der Traube zum Weißwein, Teil 6“

  1. Lieber Bernhard,
    danke für diese detaillierten Einblicke in Keller im allgemeinen und deinen im Besonderen! Die so verständlichr Darstellung wesentlicher Vorgänge erleichtern das Verständnis.

  2. Hallo Bernhard,

    vielen Dank für diesen und die anderen äußerst informativen Beiträge. Die Essigsäurebildung bei der Malolaktik, wenn noch Restzucker vorhanden ist, war mir beispielsweise neu.

    Eine kleine Ungenauigkeit ist mir aber – glaube ich – aufgefallen:

    „Wenn ein SO2-Molekül gegen Oxidation aktiv wird, wird es dabei abgebunden und zählt nicht mehr zum freien sondern nur noch zum gebundenen (unwirksamen) SO2.“

    SO2 wird in dieser Situation zu Sulfat oxidiert, das meines Wissens nach nicht zum gebundenen SO2 zählt, da es eine – unter diesen Umständen – irreversible Reaktion darstellt. Mit den gängigen analytisch-chemischen Methoden wird das Sulfat jedenfalls nicht mitbestimmt und fällt natürlich auch nicht unter die Begriffe des Weingesetzes. „Gebundenes“ SO2 hingegen ist vor allem als Aldehyd-Komplex gebunden, also besonders an Ethanal als Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung. Die Bildung des Aldehydkomplexes ist im Unterschied zur Oxidation zu Sulfat reversibel.

    Grüße,
    Gerald

  3. Hallo allerseits,

    Gerald hat recht (jaja die chemischen Wurzeln schlagen bei mir durch).

    Das SO2 wird tatsächlich an verschiedene Weinbestandteile (Aldehyde, Brenztraubensäure u.a.) angelagert.

    Das so gebundene SO2 ist damit für die weitere Konservierung „verbraucht“, dh. nicht mehr aktiv. Bei der Gesamt SO2 Bestimmung wird NaOH zugesetzt, wodurch das gebundene SO2 freigesetzt wird und jodometrisch bestimmt werden kann.

    (soviel in aller Kürze, ein Teil Erinnerung, ein Teil nachlesen… ;-), alle Klarheiten beseitigt? 😉

    Gruss
    Christian

  4. Nach ausführlichen Konsultationen mit meinem ganz persönlichen Chemie-Sachverständigen möchte ich Folgendes anmerken:

    Wenn, wie von Gerald beschrieben, SO2 im Wein auf „direktem“ Weg oxidiert wird, wird es tatsächlich zu Sulfat, das bei der Bestimmung des gebundenen SO2 nicht mitbestimmt wird und daher auch nicht (mehr) zum Gesamt-SO2 zählt.

    ABER: Diese direkte Oxidation von SO2 durch Luftsauerstoff findet offensichtlich nur in sehr geringem Umfang statt. Wäre dem nicht so, wäre jeder Grenzwert für das Gesamt-SO2 (bei den gängigen Meßmethoden) zwecklos. Der Winzer könnte nach Belieben das durch laufende Oxidationsprozesse wegoxidierte SO2 nachdosieren, da dieses als Sulfat völlig aus der Messung fällt.

    Dem ist in der Praxis aber nicht so. Natürlich muß von Zeit zu Zeit SO2 nachdosiert werden, und da die Gärungsnebenprodukte bereits mit der Jungweinschwefelung abgebunden wurden, kann es sich dabei nur um eine Folgeerscheinung der laufenden Oxidation des Weines handeln. Dieses nachdosierte SO2 findet sich beinahe vollständig auch im Gesamt-SO2 wieder, es bleibt also meßbar. Und für den gesetzlichen Grenzwert relevant.

    Meine Formulierung…

    „Wenn ein SO2-Molekül gegen Oxidation aktiv wird, wird es dabei abgebunden und zählt nicht mehr zum freien sondern nur noch zum gebundenen (unwirksamen) SO2.“

    …mag also in dieser verkürzten Form chemisch falsch sein, sinngemäß und ihre Auswirkungen betreffend stimmt sie aber.

    Ich vermute, daß bei der Oxidation von Wein zwar Weininhaltsstoffe oxidiert werden (z.B. Alkohol zu Acetaldehyd), diese aber von SO2 abgebunden werden, bevor sie weiteren Schaden anrichten können oder sich negativ geschmacklich bemerkbar machen.

    Aber so genau muß man das eigentlich gar nicht wissen 😉

  5. Hallo Bernhard,

    auf die Gefahr hin, dass es gar niemand mehr wissen möchte:

    ich glaube, das Missverständnis liegt darin, dass die Oxidation von SO2 zu Sulfat in Wein nur langsam vor sich geht (in einer reinen wässrigen Lösung ist SO2 überhaupt gegen Sauerstoff beständig, die Oxidation geht nur mit Katalysatoren gut, z.B. diverse Schwermetallionen, die aber bestimmt in geringer Menge im Wein vorkommen). So gesehen steht das SO2 in Konkurrenz mit anderen Reduktonen im Wein – denn ansonsten wäre die Reifung z.B. im Barrique bzw. Mikrooxidation durch Sauerstoff überhaupt nicht möglich, solange sich noch SO2 im Wein befindet.

    Vermutlich könnte auch ein Winzer das zu Sulfat oxidierte SO2 problemlos nachdosieren, nur kann SO2 eben unter diesen Umständen einen Wein nicht vollständig vor Sauerstoff schützen (ist ja teilweise gar nicht erwünscht). Daher findet sich das nachdosierte SO2 auch natürlich im Gesamt-SO2, da während der Gärung vermutlich nur ein sehr geringer Teil des SO2 überhaupt oxidiert wird.

    Weiters darf man nicht vergessen, dass die Bildung der Aldehyd-Sulfit-Komplexe ja reversibel ist. Wenn (freies) SO2 durch Oxidation verbraucht wird, wird es – langsam – wieder aus dem Komplex freigesetzt. Aus diesem Grund gibt es ja auch einen Grenzwert für das Gesamt-SO2, da es im Körper wohl auch nicht ganz unwirksam ist.

    Dass bei der Oxidation von Wein Ethanol in größerem Umfang zu Acetaldehyd oxidiert (und von SO2 gebunden) wird, halte ich für unwahrscheinlich. Denn diese Reaktion läuft im biologischen Milieu nur enzymatisch ab, nicht aber ohne Enzymeinfluss (bzw. nur unter extremen Bedingungen wie saure Chromatlösung – die seinerzeitigen Alkohol-Teströhrchen der Polizei).

    Also meine Theorie: SO2 wird – wenn es gegen Oxidation aktiv wird – zu Sulfat oxidiert und fällt damit aus der analytisch-chemischen Bestimmung heraus. Bei Jungweinen findet das aber nur in relativ geringem Umfang statt (anders sieht es bei der jahre- bzw. jahrzehntelangen Flaschenlagerung aus).

    Grüße,
    Gerald

  6. Hallo Gerald!

    Ich versuche mal ein Beispiel:

    Jungwein X wird nach Ende der Gärung mit 50 mg/l geschwefelt und hat danach rund 25 mg/l an Gärungsnebenprodukte gebundenes SO2 und rund 25 mg/l freies.

    Ein Monat später hat derselbe Wein noch 18 mg/l freies SO2 und 30 mg/l gebundenes. Daraufhin werden 30 mg/l nachdosiert, von denen 20 den freien SO2-Spiegel erhöhen und der Rest mehr oder weniger vollständig zu gebundenem SO2 wird. Die Werte: 38 mg/l frei, 39 mg gebunden.

    Bis zur Abfüllung ist der freie SO2-Spiegel erneut abgesunken, wiederum fast vollständig zugunsten des gebundenen. Der Wein hat z.B. 27 mg frei und 48 mg gebunden und es werden 25 mg nachdosiert, um den Sollwert an freiem SO2 für die Füllung einzustellen.

    Von den 25 mg gehen unmittelbar bei der Schwefelung etwa 8 mg direkt zum gebundenen und etwa 16 mg erhöhen das freie SO2 auf 43 mg.

    Die Prüfnummernanalyse ergibt also: 43 mg frei, 56 gebunden (bzw. 99 mg gesamt).

    Tatsächlich zudosiert wurden 105 mg, der Anteil an „verschwundenem“ (d.h. möglicherweise zu Sulfat oxidiertem) SO2 ist also relativ vernachlässigbar, nämlich 6 mg (d.h. rund 6 Prozent).
    Da es sich um einen trockenen Wein handelt, kann ausgeschlossen werden, daß eine schleichende Nachgärung schwefelbindende Gärungsnebenprodukte gebildet hat. Die Veränderung von freiem zu gebundenem SO2 beruht also (mit Ausnahme der ersten Schwefelung) weitestgehend auf der laufenden Oxidation des Weines.

    Reduktone und andere Faktoren sind in meinem Beispiel nicht berücksichtigt, letztlich aber auch unerheblich, da sie die Aussage meines (konstruierten) Praxisbeispiels nicht verändern sondern nur marginal (vielleicht im Bereich von einzelnen mg) abschwächen können.

    Grüße

    Bernhard

  7. Hallo Bernhard,

    danke für das Beispiel. Es geht also darum, dass auch noch nach Abschluss der Gärung ein Teil des freien SO2 zum gebundenen SO2 „wechselt“. Die Erklärung, dass Ethanol durch eindringenden Sauerstoff zu Acetaldehyd oxidiert wird, der dann wiederum SO2 bindet, ist im Prinzip für mich nachvollziehbar.

    Nur ist das meiner Meinung nach keineswegs die einzige Erklärung für dieses Phänomen, und auch nicht die plausibelste.

    Es stellt sich zunächst die Frage, wie dieses Oxidation stattfinden soll. Ethanol in reiner Lösung ist gegen Sauerstoff absolut beständig (ich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass sich der Inhalt einer geöffneten Wodkaflasche langsam in Acetaldehyd verwandelt hätte). Es müsste also eine Katalyse dieser Reaktion stattfinden, vermutlich enzymatisch. Die naheliegendeste Lösung, die Alkoholdehydrogenase der Hefe, scheidet wohl aus, da sie als Redoxüberträger NAD+/NADH benötigt und dies zur Regeneration mit Sauerstoff wiederum die gesamte Atmungskette der Hefezellen. Dass so etwas extrazellulär abläuft, habe ich aber noch nie gehört.

    Von den (lebenden !) Florhefen bei Sherry (fino) ist bekannt, dass sie tatsächlich im Zuge ihres Stoffwechsels Ethanol zu Acetaldehyd oxidieren, was das typische Aroma des Fino-Sherrys ergibt. Aber dass sich lebende Hefezellen dieser Gattung in deinem Wein vor der Abfüllung befinden, halte ich eher für unwahrscheinlich.

    Außerdem müsste für dein Beispiel (Verbrauch von ca. 30 mg/l SO2) umgerechnet ca. 40 ml Luft pro Liter Wein innerhalb weniger Wochen eindringen, ein Wert, der meiner Meinung nach – zumindest bei reduktiv ausgebauten Jungweinen – recht unplausibel hoch klingt.

    Ich tippe eher auf eine Reaktion, die ohne Sauerstoffzutritt abläuft. Beispielsweise Restmengen von Brenztraubensäure, die in Weinen schon bis zu 300 mg/l nachgewiesen wurde (Quelle: Der Wein, Verlag Eugen Ullmer, 1997). Die in der Hefe vorkommende Pyruvatdecarboxylase könnte diese dann langsam (da nur sehr geringe Enzymaktivität außerhalb der Hefezellen) in Acetaldehyd umwandeln, welcher dann das SO2 bindet. Diese Reaktion benötigt außer Pyruvat und dem Enzym + Coenzym (Thiamin) keine weiteren Reaktionspartner und ist daher meiner Meinung nach viel plausibler. Daneben sind aber noch viele, viele andere Gärungszwischenprodukte denkbar, die ebenfalls über langsame enzymatische (oder auch organisch-chemische) Reaktionen in Substanzen umgewandelt werden, die SO2 binden. Auf jeden Fall glaube ich aber nicht, dass dieses Phänomen mit Oxidation durch eindringenden Sauerstoff zu tun hat.

    Soweit meine Theorie …

    Grüße,
    Gerald

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