Wie entsteht Rotwein? (Teil 5)

Der Weg zur (Säure-)Harmonie

Der Säuregehalt eines Weines besteht hauptsächlich aus Weinsäure und Äpfelsäure. In wärmeren, „reiferen“ Jahren überwiegt meist die Weinsäure, in kühleren, „unreiferen“ eher die Äpfelsäure.

Während beim Weißwein in der Regel die Säure das bestimmende Strukturelement ist, übernimmt beim Roten das Tannin diese Funktion. Die Säure sollte beim Rotwein geschmacklich in den Hintergrund treten, um das unharmonische Aufeinandertreffen von hoher Säure und markentem Tannin zu vermeiden. Reife blaue Trauben enthalten jedoch kaum weniger Säure als Weißweinsorten. Aus diesem Grund muß der Säuregehalt im fertigen Wein reduziert werden um ein mildes Geschmacksbild zu erreichen.

„Chemische“ Entsäuerung mit Kalk oder Kaliumbicarbonat

Der einfachste Weg zur Säureverminderung ist die Verstärkung des natürlichen Weinsteinausfalls durch Zugabe von Kalk oder Kalium. Beide verbinden sich mit der Weinsäure im Wein und fallen nach einigen Wochen Wartezeit als Kristalle aus. 0,67g Kalk pro Liter verringern den Säuregehalt um 1 Gramm.

Bei diesem Vorgang gibt es keine direkten Nebenreaktionen. Wenn es also nicht gerade um große Korrekturen geht, die das Gesamtgefüge des Weines dramatisch verschieben, ist die chemische Entsäuerung ein sehr schonendes und zielgerichtetes Verfahren um kleinere Säurekorrekturen im Interesse der Harmonie eines Weines vorzunehmen.

Da nur die Weinsäure als Weinstein ausfällt, läßt sich auch nur die Weinsäure auf diesem Weg entfernen. Größere Säurekorrekturen führen deshalb dazu, daß im fertigen Wein die Äpfelsäure dominiert. Diese Säure ist ein wichtiger „Träger“ für Aromastoffe, wirkt jugendlich erfrischend, wird aber auch mit Unreife assoziiert und schmeckt (angeblich) saurer als die Weinsäure. Für Rotweine hat sich deshalb eine andere Möglichkeit der Säureverminderung durchgesetzt:

Der biologische Säureabbau, auch Malolaktik genannt

Der (richtigerweise) bakterielle Säureabbau ist eine Art Gärung, bei der bestimmte Bakterienstämme den Äpfelsäuregehalt (Malat) des Weines verarbeiten. Etwa die Hälfte davon wird zu CO2 und blubbert oben aus dem Faß. Der Rest wird in Milchsäure (Laktat) umgewandelt, die (angeblich) deutlich milder und runder schmeckt, als die Äpfelsäure. So verändert der BSA nicht nur den Säuregehalt, sondern auch die Säurezusammensetzung eines Weines massiv. Die Weinsäure, die als reifer und unproblematischer empfunden wird, bleibt hingegen vollständig erhalten.

Weine mit BSA wirken deutlich runder, weicher und cremiger als ihren Pendants, die mit Kalk auf den gleichen Säurewert entsäuert wurden. Außerdem brauchen sie deutlich weniger SO2 zu ihrer Stabilisierung. Viele Nebenprodukte der alkoholischen Gärung, die Schwefel an sich binden können werden nämlich dabei abgebaut.

Weine mit BSA sind allerdings auch deutlich weniger jugendlich-fruchtig und vor allem in ihrer Jugend oft von einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Yoghurt-, Butter- oder Sauerkraut-Aroma geprägt, das als Nebenprodukt der Bakterientätigkeit entstehen kann, bei ausreichender Belüftung aber noch vor der Abfüllung vergehen sollte. Wie jeder biologische Prozeß, so kann auch die Malolaktik eine Eigendynamik entwickeln, die zu Weinfehlern führt. Wenn die Weine z.B. vor dem Säureabbau nicht trocken durchgegoren sind, können die Bakterien aus dem vorhandenen Zucker Essigsäure bilden, die sich als stechender Fehlgeruch äußert. Gelegentlich entsteht auch Histamin und andere unbekömmliche Substanzen.

Aus diesem Grund wird der Säureabbau normalerweise erst nach vollständig beendeter alkoholischer Gärung angestrebt. Bei langen Standzeiten auf der Maische kann der BSA aber manchmal schon spontan vor der Pressung beginnen, was sich kaum verhindern läßt.

In der Praxis

Wie die alkoholischen Gärung kann man auch den BSA durch Zugabe von vorvermehrten Bakterien einleiten (etwas schneller und meist mit weniger Nebenaromen) oder man läßt die von Natur aus im Wein vorkommenden Bakterien arbeiten (mit etwas höherem Risiko für Fehler und Nebenaromen). Um den Säureabbau überhaupt in Gang zu bringen, dürfen die Jungweine nicht geschwefelt werden, da die Bakterien äußerst SO2-empfindlich sind. Außerdem bevorzugen die kleinen Helfer angenehme Temperaturen um 18 bis 22°C.

Die jungen Rotweine lagern nach der Pressung also ungeschwefelt (und damit potentiell anfällig für Oxidation durch Luftsauerstoff) bei Wohnraumtemperatur. Dazu wird entweder der Wein im Behälter geheizt oder der ganze Keller bzw. Teile des Kellers. Wenn der Ausgangssäuregehalt des Weines nicht zu niedrig ist, beginnen sich die Bakterien unter diesen Bedingungen zu vermehren und bauen in einem Zeitraum von zwei Wochen bis mehreren Monaten den gesamten Äpfelsäuregehalt des jungen Rotweines ab.

Um die Weine möglichst bald mit SO2 vor Oxidation schützen zu können, strebt der Kellermeister in der Regel einen zügigen BSA an. Im Jungweinstadium, trüb und noch warm von der alkoholischen Gärung, gelingt die Malolaktik meist auch leichter. Hat ein Wein den biologischen Säureabbau absolviert ist er so gut wie äpfelsäurefrei. Damit ist er biologisch relativ stabil, da er Mikroorganismen keinen Nährboden mehr bietet. Der Zucker ist vergoren, die Äpfelsäure verarbeitet, Wein- und Milchsäure sind für die meisten Bakterien nicht nutzbar und Alkohol und SO2 tragen das ihre zur Konservierung bei.

Sobald eine Analyse den vollständigen Säureabbau bestätigt, läßt der Kellermeister den Wein auskühlen, um der Oxidation und mikrobiologischen Fehlentwicklungen keine Chance zu geben. Bald danach wird der junge Rotwein von den Trubstoffen (Hefen, Bakterien,…) abgezogen. Um ihm die Nebenaromen des BSA auszutreiben und seine Entwicklung zu fördern wird der Wein dabei belüftet (z.B. ins Faß plätschern gelassen). Anschließend erfolgt die erste Schwefelung des Rotweines, meist in deutlich niedrigerer Dosierung als beim Weißwein.

 

19 Gedanken zu „Wie entsteht Rotwein? (Teil 5)“

  1. Als Ergänzung ein kleines Rechenbeispiel („chemisch“ nicht richtig gerechnet, aber sinngemäß zutreffend):

    Ein Wein mit 7 g/l Gesamtsäure enthält in der Regel 4 g/l Wein- und 3 g/l Äpfelsäure.

    Nach einer chemischen Entsäuerung mit ca. 1 g/l Kalk beträgt seine Gesamtsäure 5,5 g/l, bestehend aus 2,5 g/l Weinsäure und 3 g/l Äpfelsäure.

    Ein biologischer Säureabbau hätte ebenfalls 5,5 g/l Gesamtsäure zur Folge. Allerdings bestehend aus 4 g/l Weinsäure und 1,5 g/l Milchsäure.

  2. Hallo Bernhard,

    ich bin sehr begeistert über deinen Blog, den ich vor einer Woche entdeckt habe, weil ich ihn sehr informativ und transparent empfinde. Vielen Dank dafür.
    Nun zu meiner Frage. Du schreibst, daß Apfelsäure und Milchsäure nur „angeblich“ milder sind als Apfelsäure.
    So habe ich es bisher auch immer gelesen. Du siehst das wohl nicht so absolut. Hast du andere Erfahrungen gemacht?

    …Äpfelsäure dominiert. Diese Säure ist ein wichtiger “Träger” für Aromastoffe, wirkt jugendlich erfrischend, wird aber auch mit Unreife assoziiert und schmeckt (angeblich) saurer als die Weinsäure….

    …Der Rest wird in Milchsäure (Laktat) umgewandelt, die (angeblich) deutlich milder und runder schmeckt, als die Äpfelsäure….

    Stimmt es, daß bei dem BSA die Apfelsäure zur Hälfte abgebaut wird. ich dachte es wäre 1/3.

    über eine Antwort würde ich mich freuen.

    Gruß vom Bodensee

    Helmut

  3. Hallo Helmut!

    Herzlichen Dank für das Kompliment. Was die angeblich im Vergleich zu Äpfelsäure „milder“ schmeckende Milchsäure betrifft, so ist diese Darstellung zwar sehr gängig (weil leicht zu erklären), unter Fachleuten aber eher umstritten. Von kompetenter Seite kommt nämlich immer wieder die Replik, dass die beiden Säuren in reiner geschmacklich nicht zu unterscheiden sind.

    Mit der Formulierung „angeblich“ habe ich versucht mich elegant aus der Affäre zu ziehen, zumal es sich in der Kellerpraxis um eine letztlich irrelevante Spitzfindigkeit handelt. Wichtig ist das Geschmacksresultat nach dem BSA und die Abwesenheit von mikrobiologisch anfälliger Äpfelsäure sowie die aromatischen und So2-sparenden Nebenwirkungen.

    Abgebaut wird die Äpfelsäure beim BSA zur Gänze (sofern die Bakterien vom Kellermeister nicht daran gehindert werden), d.h. sie verschwindet komplett. Dafür bilden die Bakterien rund halb so viel Milchsäure wie vorher Äpfelsäure da war (glaube ich zumindest relativ sicher, mich erinnern zu können), wobei sich diese Angabe wohl auf das Molekülgewicht bzw. eine stöchiometrische (chemische) Rechnungsweise bezieht.

    Grüße vom immer noch dick zugefrorenen Neusiedlersee an den Bodensee

    Bernhard

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