Es wird nie soviel gelogen wie vor der Weinlese, während des Krieges und nach der Jagd

Hätte Otto von Bismarck mehr mit Winzern zu tun gehabt, hätte er es bestimmt so formuliert (und nicht vor der Wahl statt vor der Weinlese gesagt, was aber angesichts des derzeitigen Wahlkampfes wohl auch stimmt).

Die „Zuckergrade“ der Trauben haben vor und während der Lese Hochsaison, aber auch später kommen keine Winzer-Weinbeschreibung, kaum ein Steckbrief und nur wenige Jahrgangsbeschreibungen ohne die Angabe der „Klosterneuburger Grade“ aus.

An sich ist das zwar durchaus nachvollziehbar, wenn man weiß (oder hier nachliest), dass der Zuckergehalt einer der wichtigsten Parameter für die Feststellung der Traubenreife (und noch dazu der am leichtesten meßbare) ist.

Aber es birgt auch Tücken im Detail und lädt zur schamlosen Übertreibung großzügigen Aufrundung der Zahlen und damit der Traubenreife im Dienste des Marketings ein.

Manche Winzer nehmen daher frei nach dem Motto „Traue nur jener Statistik, die du selbst gefälscht interpretiert hast“ die Angaben von Kollegen grundsätzlich nicht ernst, manche trauen zumindest den Angaben von einigen wenigen, meist eng befreundeten Weinbauern und einige wenige scheinen mittlerweile ihre eigenen Fantasieangaben in Sachen Zuckergehalt selbst für wahr zu halten.

Winzer-Fetisch „20 Grad“

Besonders beliebt sind 20°KMW als Angabe des Zuckergehaltes bei der Ernte, einer schönen runden Zahl und, zumindest Insidern bekannt, dem bei vielen Sorten mehr oder weniger höchsten möglichen Wert ohne Einschrumpfung mit oder ohne Edelfäule.

Mißt man aber selbst solche Parzellen nach, vergleicht den Wert mit eigenen Erfahrungen (bei gleich niedrigem Ertrag, gleich hoher Laubwand etc.) oder weiß über die Verwendung von Zucker oder Mostkonzentration zur Aufbesserung in diesen Betrieben Bescheid, scheinen Werte zwischen 17 und 19°KMW weit realistischer.

Aber nicht alle auffallend hohen Werte sind automatisch falsch. Gar nicht so selten werden Winzer (vor allem von Kollegen) auch zu Unrecht der Übertreibung beschuldigt:

Unglaublich, aber wahr

An sich sollte allen Weinbauern bekannt sein, dass Erziehungsform, Rebschnitt, Laubarbeit, Bodenbearbeitung, Pflanzenschutz und natürlich das Ertragsniveau einen enormen Einfluß auf den Reifeverlauf der Trauben haben. Deswegen arbeiten sie ja von Jänner bis zur Ernte im Weingarten.

Trotzdem wollen viele konservative Vertreter unserer Zunft nicht immer einsehen, dass eine Veränderung des einen oder anderen Faktors eine deutliche Verbesserung bringen könnte und arbeiten stattdessen nach dem gewohnten Schema F.

Das kann dazu führen, dass ihre Trauben am Ende (wenn überhaupt) deutlich später reif werden, als die von Winzern mit höherer Laubwand, einer besseren Wasserversorgung, mehr jungem Blattwerk von Geiztrieben, etc.

Konfrontiert man solche Winzer mit Reifeanalysen, die zum selben Zeitpunkt bei der gleichen Sorte ein oder zwei Zuckergrade mehr diagnostizieren, steht man schnell als Lügner da. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf kommt es in Folge oft zu einem weiteren Trugschluß:

Völliges Unverständnis

Da ein Reifevorsprung in der Regel auch zu einer früheren Weinlese führt (führen muß), ernten Betriebe mit reifefördernder Bewirtschaftung zum Teil deutlich früher als andere. Dazu kommt noch, dass sie meist ein besseres (und „moderneres“) Verständnis von Wein haben und auch die Zusammenhänge zwischen Trauben(reife) und Wein(qualität) besser verstehen.

Aus der Sicht des qualitätsorientierten Winzers ergibt sich also oft folgendes Bild: Seine Trauben sind deutlich früher reif, und um für manche Weintypen unnötig hohe (und altmodische) Alkohol- bzw. Restzuckerwerte zu vermeiden und/oder keine bei Rotweinen und trockenen Weißen qualitätsmindernde Botrytis zu riskieren erntet er sie mehr oder weniger früh und trotzdem reif.

Für den verständnislosen Berufskollegen sieht es aber mitunter so aus: Gerade die Betriebe, die immer wieder von Qualität reden ernten ihre Trauben – wenn er seine eigenen Reifemessungen als Anhaltspunkt nimmt – viel zu früh. Er hingegen wartet lange genug zu und kann am Ende tatsächlich Trauben mit 20° oder mehr einfahren.

Das diese nur durch eine botrytisbedingte Schrumpfung samt entsprechendem Mengenverlust so süß geworden sind, kümmert ihn nicht. Und das sich für seinen fruchtaromalosen üppigen Weißwein und seinen braunen Roten kaum jemand interessiert liegt sicher nur am Marketing der anderen. Und nicht an den eigenen Trauben.

1 Gedanke zu „Es wird nie soviel gelogen wie vor der Weinlese, während des Krieges und nach der Jagd“

  1. Vorsicht, aber das weißt Du ja eh, KMW-Grade haben nur teilweise mit Traubenreife zu tun. Ich habe einmal mit einem Winzer die Probe aufs Exempel gemacht und zu gleicher Zeit im Herbst seine Trauben probiert, die zwar weniger Zuckergrade aufwiesen, aber schmeckten und dunkle Kerne aufwiesen, also „physiologisch“ reif (und erntbar) waren. Die Trauben des Nachbarn (gleiche Rebsorte) wiesen zwar höhere Zuckergrade auf, die Kerne waren noch unverfärbt und die Trauben schmeckten nach wenig. Besagter Winzer meinte dann auch, dass viele Trauben gar nicht physiologisch reif werden bzw. die Zuckerreife „auf der Jagd nach Smaragdqualität“ zu früh stattfinden würde.

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