Eine der vielen faszinierenden Eigenschaften von Wein ist seine Fähigkeit zu reifen. Kaum ein Lebens- bzw. Genussmittel kann eine derart lange Lebensdauer aufweisen, wie manch edler Tropfen.
Für den einen oder anderen Weinblogger liegt darin vielleicht sogar der Schlüssel zu seiner Leidenschaft und ein Beitrag zur 31. Etappe der Weinrallye am 23. März.
Die allermeisten Konsumenten wollen jedoch keine reifen Weine, wie Captain Cork hier durchaus lesenswert berichtet, auch wenn Kollege Dirk Würtz dieses Phänomen in einem ausgiebig kommentierten Blog-Beitrag als Jungweinwahn bezeichnet.
Zugegeben, ich wundere mich auch von Jahr zu Jahr über jene Kollegen, die glauben, schon im November oder Dezember nach der Ernte ihre gesamte Weißweinpalette in die Flasche bringen zu müssen.
In den meisten Fällen handelt es sich dabei meiner Meinung nach um einen völlig unnötigen vorauseilenden Gehorsam der Winzer gegenüber ihren Kunden. Die mögen vielleicht keine reifen Weine, entsprechende Informationen und Weinstile vorausgesetzt, würden sie sich aber sicherlich zumindest bis März oder April gedulden.
Schließlich haben wir auch keinerlei Probleme damit, die meisten unserer Weißweine (von seltenen Ausnahmen abgesehen) im Frühling und einzelne Sorten erst im Sommer des auf die Ernte folgenden Jahres in Verkauf zu bringen. Von einem guten Jahr Reifezeit bei den leichteren und mehreren Jahren bei den kräftigen Roten gar nicht zu reden. Und wie gerade auch neuere Entwicklungen zeigen, sind wir damit nicht allein.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die besorgte Frage eines Kollegen Anfang Jänner dieses Jahres, ob einer unserer großen Vertriebspartner denn kein Problem damit habe, jetzt noch den Muskat Ottonel 2008 geliefert zu bekommen.
Entgegen seinen Befürchtungen hatte unser Händler nämlich auch Ende Februar keine Schwierigkeiten damit, sondern freute sich sogar darüber, dass der 2009er noch etwas Zeit hat, um die Nachwehen der Abfüllung zu verdauen.
Trotz meiner Wertschätzung für die Reifung von Wein kann ich der Diskussion über den „Jungweinwahn“ aber nicht allzuviel abgewinnen. Für meinen Geschmack folgt sie zu häufig schwarz-weißen Mustern und der Rollenverteilung vom kompetenten Weinfreak, der intelligent genug ist, seine Weine gereift zu trinken sowie dem banausenhaften Normalverbraucher, der – angestachelt von profitgierigen Winzern – alles trinkt, wenn es nur jung genug ist.
Wie dieser Kommentator bin ich der Meinung, dass gute Jungweine ebenso ihren Charme haben, wie hochwertige gereifte. Und dass es keine Frage von Moral oder Intelligenz ist, welchen man bevorzugt, sondern ausschließlich eine des persönlichen Geschmacks.
Und über den läßt sich bekanntermaßen nicht streiten…
In der Diskussion geht es nicht um „schwarz-weiß-Denken“ und auch nicht um Kompetenzen. Es geht darum, dem Konsumenten bestimmte Möglichkeiten und Facetten des Geschmacks anzubieten.
Ich würde meinen, es gibt diese Möglichkeiten durchaus. Dass sie sich vorwiegend in Nischen bieten liegt wohl am Phänomen „Markt“, also an der Vorliebe der allermeisten Konsumenten für Weine die von der Jugend geprägt sind.
Ich weiß schon, dass an dieser Stelle gerne eingewendet wird, die Leute würden mehr gereifte Weine trinken, wenn sie denn nur die Möglichkeit hätten, damit häufiger in Kontakt zu kommen.
Wirklich glauben mag ich daran aber nicht, denn ich bin überzeugt, dass die Mehrzahl der Weinkonsumenten bei einem deutlich breiteren Angebot an reifen Weinen diese zwar vielleicht öfter mal verkosten würde. Aber – im unterschied zu jüngeren Tropfen – nicht in nennenswerten Mengen trinken.
Vielleicht hat das sogar mit den evolutionsbedingten genetisch festgelegten Geschmacksvorlieben zu tun. Aromen nach frischen Früchten erschließen sich dem Menschen nun einmal leichter, als Petrol, Dörrobst, schwarzer Tee und morbide Elemente. Nicht umsonst heißt es ja auch, dass sich gereifte Weine dem Weintrinker in der Regel nicht spontan erschließen, sondern erst nach etwas eingehenderer Beschäftigung mit dem Thema.
Für die kleine Gruppe, der das Spaß macht, finden sich dann auch Anbieter in Produktion, Handel und Gastronomie, die dankbar für eine Marktnische sind, in der sie Ihre Weine anbieten können. Und wie mir scheint wir diese Nische zumindest in Österreich langsam ein ganz klein wenig größer (was natürlich auch mit marktbedingt steigenden Lagerbeständen zu tun haben könnte 🙂 ).
Abgesehen davon ist es ohnehin einigermaßen müßig, sich mit dem Thema „Trinkreife“ auseinanderzusetzen, wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich die Einschätzungen diesbezüglich auch zwischen ausgewiesenen Freunden reifer Weine sein können. Da kann es dann schon einmal passieren, dass ein bestimmter gereifter Wein für die einen völlig hinüber, für die anderen aber gerade erst am Beginn seiner allerersten Trinkreife ist.
Und wenn sich die „Experten“ nicht einigen können, ob ein Wein nach fünf oder zehn Jahren am besten schmeckt, ist es wohl nicht angebracht wenn sie dem Finger auf jene zeigen, denen er nach einem Jahr am besten schmeckt (womit Du ausdrücklich nicht persönlich gemeint bist).
Im übrigen halte ich die Gruppe der extremen Jungweinfanatiker (die zwar weininteressiert, aber nicht wirklich sonderlich kenntnisreich sind) für etwas überschätzt. Wie die Diskussion zeigt, sehen „echte“ Weinliebhaber die Sache mit der frühen Verfügbarkeit des neuen Jahrgangs weit entspannter, und die größte Konsumentengruppe stellen sowieso jene dar, die zwar gerne Wein trinken, sich aber nicht allzusehr mit den Details aufhalten wollen. Denen also wichtiger ist, dass ihnen der Wein schmeckt, als dass der „richtige“, Jahrgang draufsteht.
Grüße
Bernhard,
der unter anderem immer wieder auch gerne Weißburgunder aus den 80ern und 90ern trinkt.
Nochmal: Ich rede nicht von alten Weinen mit Petroltönen oder was auch immer, die grundsätzlich ja auch nicht jedem schmecken. Ich rede davon, WANN man Weine aus dem aktuellen Jahrgang anfängt zu vermarkten. Im Jungweinstadium, oder eben nach einer gewissen Zeit, wenn sie schmecken. ich rede nicht davon, die Welt davon zu überzeugen nix zu trinken, was nicht wenigstens 20 Jahre alt ist.
Ich verstehe deine Gedanken und Beobachtungen schon. Deinen Schlüssen daraus kann ich aber trotzdem nicht folgen, weil ich a) glaube, dass es für Interessierte genügend reife Weine auf dem Markt gibt und b) der Meinung bin, dass die Situation nicht „schlimm“ und nicht gegen den Konsumenten ist (von wegen Bevormundung und so).
Vinissimus hat hier einen schönen Beitrag zum Thema geschrieben, aber irgendwie hat es nicht mit der automatischen Verlinkung geklappt.
natürlich kann man die sache, besonders was die persönlichen preferenzen angeht, auch lockerer sehen, da muss ich dir, lieber bernhard, recht geben.
traurig ist es aber, wenn man den weinen auch die nötige zeit, z.b. zur lagerung auf der feinhefe, geben will, später abfült und dann von den gastronomiebetriebe die antwort bekommt: „tut mir leid, habe die frühlings/sommer-karte schon geschrieben.“
d.h. wenn man gezwungen ist, früh zu füllen und zu vermarkten, da ansonsten schon alles von anderen am verdrängungsmarkt besetzt ist.
auch das ist ein wichtiger aspekt in dieser „jugendwahn“-diskussion.
lg
armin