Der niedrige Wasserstand des Neusiedlersees ist derzeit in aller Munde. Und in Form von oft sehr reisserischen Schlagzeilen auch beinahe täglich in den Medien. Wird der See austrocknen? Wer oder was ist daran schuld? Kommen die angekündigten Maßnahmen zu spät? Und sind sie überhaupt ökologisch vertretbar?
Der Neusiedlersee ist als Steppensee in einem Trockengebiet mit nur einem kleinen natürlichen Zulauf vom Niederschlag abhängig und weist immer schon einen stark schwankenden Wasserstand auf. Wie das obige Diagramm zeigt, ist sein Niveau (gemessen als Seehöhe über dem Adria-Meeresspiegel) als Folge von mehreren außergewöhnlich trockenen Jahren derzeit auf dem tiefsten Stand seit 1965. (Bildquelle: Wasserportal Burgenland)
Schaut man etwas weiter zurück, ist der aktuelle Pegel von rund 115 Metern allerdings nicht ganz so außergewöhnlich, sondern entspricht etwa dem Durchschnitt der 35 Jahre davor. Den gravierenden Unterschied macht die Wasserstandsregulierung ab 1965, die einen insgesamt höheren, aber vor allem gleichmäßigeren Wasserstand zum Ziel hat. Einerseits, um Schäden durch Überschwemmungen, die es früher immer wieder gab zu vermeiden, andererseits aber auch, um den See wirtschaftlich besser nutzen zu können.
Ist der aktuelle Stand also eigentlich ganz normal und natürlich? Nicht ganz, denn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde über den rund um das Jahr 1901 errichteten Einser-Kanal massiv Wasser aus dem See entnommen, und die damaligen Tiefstände waren – anders als die heutigen – wohl zumindest zum Teil menschgemacht. (Die aktuellen sind es über den von uns verursachten Klimawandel wohl auch, aber nur indirekt und längerfristig.)
Insgesamt ist der See in seiner heutigen Form überhaupt sehr stark vom menschlichen Einfluss geprägt. Auch wenn ein großer Teil davon zum Nationalpark erklärt wurde, ist er eher eine Kultur- als eine Naturlandschaft. So war z.B. sein Ufer vor 150 Jahren noch weitgehend schilflos und der für die einzigartige Vogelwelt verantwortliche kilometerbreite Schilfgürtel entstand erst nach dem Absinken des (Soda-)Salzgehaltes des Sees durch die massive Wasserentnahme.
Dementsprechend schwierig ist zu beurteilen, ob und wie man den Wasserstand des Sees stabilisieren kann und soll. Eine generelle Ablehnung menschlicher Eingriffe ist angesichts dieser Geschichte schwer zu argumentieren, gleichzeitig sind aber die Sorgen über deren Auswirkungen umso mehr berechtigt.
Die Gründe für die aktuellen Pläne, den Wasserstand durch die Zuleitung von Wasser aus einem Seitenarm der Donau in Ungarn zu erhöhen, sind zweifellos vorwiegend wirtschaftlicher Natur. Auch wenn nur ein Bruchteil der Touristen tatsächlich zum Schwimmen an den See (und dafür sicher nicht an solchen Stellen mitten im Schilfgürtel) kommt, sind Bilder wie dieses natürlich keine gute Werbung. Und mögliche Einschränkungen des Segel- und Ausflugsbootsverkehrs auf der offenen Wasserfläche ebensowenig.
Aus Sicht des Naturschutzes ist eine Wasserzuleitung hingegen nicht nur nicht notwendig, sondern sogar gefährlich. Experten sagen, dass sie den Salzgehalt des Sees noch weiter absenken würde, was gravierende Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt haben könnte. Darüber hinaus wäre die Zuleitung natürlich sehr teuer, in der Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Ungarn schwierig umzusetzen, und es stellt sich die Frage, wie nachhaltig es ist, wenn ein See ständig an einem fremden Tropf hängt.
Wäre es also besser, die Finger vom See zu lassen und der „natürlichen“ Entwicklung zu vertrauen? Die Rolle die der See für mich spielt, hängt nicht von seiner Tiefe ab. Wie vor der Errichtung der Seebäder in den 1950er-Jahren fast allen und auch heute noch sehr vielen Einheimischen ist auch mir der See vor allem durch seine Präsenz wichtig. Ich bin selten am, noch seltener im Wasser, aber ich schaue jeden Tag ungezählte Male mit Freude auf den See. Er liegt unseren Rieden zu Füßen und ist der Beginn der scheinbar unendlichen Weite Richtung Osten. Von jedem Weingarten sieht er anders aus, jeden Tag hat er eine andere Farbe.
Aus diesem Blickwinkel könnte man recht entspannt auf die aktuelle Situation schauen, ja vielleicht sogar hoffen, dass sie zu einem Umdenken bei der (mancherorts sicher zu) intensiven Nutzung und Verbauung führt. Die immer deutlicher spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, die Häufung von extrem trockenen und sehr heißen Jahren lassen mich aber daran zweifeln, dass wir uns nur auf einem „normalen“ Tiefpunkt befinden und früher oder später ein paar feuchte Jahre hintereinander den See wieder füllen und das Pendel in die andere Richtung ausschlagen lassen werden.
Was also tun? Vielleicht doch die Notwendigkeit einer verträglichen Wasserzuleitung angesichts der langen Liste der menschlichen Einflüsse auf den See als legitim akzeptieren. Dabei aber keinesfalls auf die mittel- und längerfristig wirksamen Maßnahmen vergessen, ohne die es ganz sicher nicht geht: Die Art und Intensität der Nutzung des Sees überdenken, die Entnahme von Grundwasser für die Bewässerung der Landwirtschaft östlich des Sees hinterfragen und natürlich endlich ernsthafte Maßnahmen gegen den menschgemachten Klimawandel setzen.
Nicht einfach und wohl auch unbequem. Aber ich denke Impressionen wie diese wären es wert.
Wie immer sehr informativ, toll geschrieben! Danke!
Liebe Grüße aus der Kinogasse!
Eva Luka
Dankeschön, Eva!