Pedologische Sprachverwirrung (2)

Das Ausgangsmaterial

Vor allem wenn es sich um prägnante und kurze Begriffe handelt, wird das Ausgangsmaterial der Bodenbildung in der Weinbranche gerne verwendet, um den Boden, oder gar den Wein zu definieren.

Wer kennt sie nicht, die „Schieferböden“, „Lössböden“, „Kalkböden“ und (nicht nur verkürzt, sondern noch dazu ohne jeglichen geologischen Hintergrund) „Urgesteinsböden“?

Natürlich ist es enorm wichtig, woraus sich ein Boden entwickelt hat. Aber eine Bodenbeschreibung ohne eine Definition der näheren Umstände dieser Entwicklung und ohne genaue Darstellung des Endproduktes beleuchtet nur einen relativ kleinen Teil der für den Weinbau relevanten Aspekte und hat daher nur eine relativ geringe Aussagekraft.

Nährstoffe und pH-Wert

Ein Faktor den das Ausgangsmaterial der Bodenbildung festlegt, ist der pH-Wert des Bodens bzw. sein Kalkgehalt.

Kalzium ist selbst zwar auch ein (Neben)Nährstoff für die Pflanzen, wirklich interessant ist der Kalk aber vor allem deshalb, weil die (Haupt-)Nährstoffe und Spurenelemente je nachdem ob und wie sauer oder alkalisch ein Boden reagiert besser oder schlechter für die Pflanzen verfügbar sind.

Obwohl die Weinreben wie die meisten Pflanzen einen neutralen oder leicht sauren Boden bevorzugen, wird auch auf sehr kalkhaltigen (und damit alkalischen) Böden erfolgreich Weinbau betrieben. Manchen Sorten wird sogar (mehr oder weniger gut wissenschaftlich oder empirisch belegt) nachgesagt, auf kalkhältigen Böden ihre besten Resultate zu erbringen.

So gelten die „Burgundersorten“ Chardonnay, Pinot blanc, Pinot gris und Pinot noir als besonders kalkbedürftig, während Riesling oder Syrah angeblich nicht besonders gut auf Kalk reagieren. Und Muskat Ottonel soll überhaupt völlig kalkunverträglich sein.

Warum er (nicht nur) bei uns trotzdem auf Böden mit hohem pH-Wert gut gedeiht (und warum solche Einschätzungen zwar nicht völlig falsch, aber doch mit Vorsicht zu genießen sind) hat mehrere Gründe.

Zum einen ist Kalk nicht gleich Kalk, denn für die Rebe wirklich interessant ist nur der sogenannte „Aktivkalk“. Das sind jene Kalkteilchen, die klein genug sind, um von den Wurzeln tatsächlich aufgenommen werden zu können. Und zum anderen spielt die Auswahl der Unterlagsrebe bzw. deren Kalkverträglichkeit eine große Rolle.

Ganz abgesehen davon, dass es kaum möglich ist, unterschiedliche Kalkgehalte im Boden bzw. deren Auswirkungen auf den Wein ganz isoliert ohne andere Einflußfaktoren zu betrachten. Und dass sich bei solchen und ähnlichen Weinvergleichen oft zwar ein stilistischer, aber nicht unbedingt ein qualitativer Unterschied feststellen läßt.

Neben dem pH-Wert beeinflußt das Ausgangsmaterial auch den Nährstoffgehalt eines Bodens. Manche Materialien verwittern leichter und/oder stellen den Planzenwurzeln mehr Nährstoffe zur Verfügung als andere.

Da aber die allermeisten weinbaulich relevanten Böden in Europa schon seit Jahrhunderten intensiv landwirtschaftlich genutzt werden, hat deren heutiger Nährstoffgehalt meist nur sehr wenig mit der Verwitterung des Ausgangsmaterials zu tun. Düngung, Fruchtwechsel, Erosion und Ausschwemmung ins Grundwasser über einen derart langen Zeitraum haben die Unterschiede längst verwischt.

Durchwurzelbare Tiefe und Bearbeitbarkeit

Wie tief die Rebwurzeln in den Boden eindringen können, hängt wesentlich vom Ausgangsmaterial der Bodenbildung ab. Beissen die Wurzeln nach einem halben Meter auf Granit, oder wartet unter dem humosen Oberboden eine meterdicke Lössanhäufung, die leicht zu durchdringen ist?

Theoretisch können Rebwurzeln mehrere Meter tief in den Boden wachsen. Ob sie das tatsächlich auch tun, hängt aber nicht nur von den Hindernissen auf ihrem Weg nach unten ab, sondern auch davon, ob es sich für die Rebe überhaupt lohnt.

Böden auf sehr sandigem Untergrund setzen den Wurzeln zum Beispiel zwar wenig Widerstand entgegen, aber da sie auch in tieferen Schichten selten eine gute Wasserversorgung bieten, wurzeln die Reben darin trotzdem meist eher breit als tief. Davon abgesehen spielt natürlich auch die Unterlagsrebe, die Pflanzdichte und das Alter der Reben eine Rolle.

Wenn Sie also in ein und derselben Beschreibung sowohl von kargen Urgesteinsböden als auch von besonders tief wurzelnden Reben lesen, sollten Sie das nicht all zu ernst nehmen, sondern eher als eine (sich eigentlich widersprechende) Anhäufung von für den Laien gut klingenden Allgemeinplätzen betrachten.

Tiefgründigkeit und Steinanteil sind aber nicht nur für die Pflanzen von Bedeutung, sondern auch für den Menschen, der Pflanzen und Boden bearbeitet und pflegt. Ob und mit welchem Aufwand und Materialverschleiß ein Boden händisch oder maschinell gelockert werden kann, hängt stark davon ab, aus welchem Ausgangsmaterial er entstanden ist.

Wie beim Kalk- und Nährstoffgehalt ist aber auch in diesem Fall der jahrhundertelange menschliche Einfluß enorm groß. Generationenlang wurden in Weingartenparzellen Steine gesammelt und abtransportiert sowie die Erosion gefördert und/oder deren Auswirkungen wieder repariert.

Der Steinanteil an der Oberfläche ist daher nicht unbedingt ein Indiz dafür, wie es einen halben Meter darunter aussieht.

Hier geht´s zu Teil 1 mit den Links zu allen Beiträgen dieser Serie.

1 Gedanke zu „Pedologische Sprachverwirrung (2)“

  1. Ich übersetze häufig Bodenbeschreibungen für Kollegen und stoße dabei immer wieder auf solche Ungereimtheiten und Allgemeinplätze, die auch nicht besser werden, wenn man aus einer geologischen Studie die Bezeichnung für einen besonders exotischen erdgeschichtlichen Betsndteil seiner Lage herausgepickt hat, mit dem man dann den Laien beeindrucken kann.

    Unsere eigenen Lagen sind ein gutes Beispiel: der Berg, an dem wir den Wein gepflanzt haben, ist deutlich diagonal in einen Teil mit Schieferuntergrund und einen mit Kalkstein geteilt – das stammt noch aus den Auswirkungen der Kontinentalverschiebung, bei der sich auch die inzwischen wieder durch Erosion abgetragenen Gebirge aufgefaltet haben.

    Es wirkt sich auch im für die jeweilige Lage typischen Bewuchs mit entsprechender Vegetation aus, für die Reben ist aber wohl vor allem Wichtig, dass z.B. die Kalkböden eben keinen zu hohem Anteil an aktivem Kalk haben, was uns vor entsprechenden Mangelerscheinungen der dort gepflanzten Stöcke schützt.

    Unsere Bodenanalysen wurden damals von einen Labor gemacht, dass sich auf die Mikrobiologie der Böden spezialisiert hat, also die Mikroorganismen, die in einem gesunden Boden leben und viele der dort enthaltenen Nährstoffe für die Wurzeln erst assimilierbar machen.

    Auch die Qualität von Lehm oder Ton in den Böden, wichtig für die Regulierung des Wasserhaushaltes, kann sehr unterschiedlich sein – generelle Beschreibungen wie Kalklehm (argilo calcaire), wie man sie zu dutzenden findet, sind also so alleine auch überhaupt nicht aussagekräftig.

    Ich freue mich auf die Fortsetzung deiner Serie – die ja auch den modischen Marketingcharakter so mancher „geschützter“ geologischer Bezeichnung ins rechte Licht rückt.

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