Weinrallye #50: Ein Déjà-vu

WeinrallyeHeute ist wieder Wein(blog)rallye-Tag, und nachlängerer Pause beschäftigen sich alle deutschsprachigen Genussblogger, die Lust dazu haben, mit dem Themenvorschlag von Iris: „Naturweine“.

Nachdem es keine klare Definition dieses Begriffes gibt, geht es laut Iris um alles, was ausgehend von chemiefreien Trauben aus ökologisch bearbeiteten Weinbergen dann auch im Keller möglichst ohne die möglichen (und üblichen …) hunderten von zugelassenen Zusatzstoffe auskommt.

Wie populär dieses Thema in einem kleinen Kreis mit ambitioniertem Weininteresse ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass es beim Vinocamp Deutschland heuer eine eigene, gut besuchte Verkostung dazu gegeben hat, und dass die „Naturweine“ auch schon das Thema der 30. Etappe der Wein(blog)rallye waren.

In meinem damaligen Beitrag kann man nachlesen, warum ich von dem Begriff und den allermeisten dahinterstehenen Weinen nicht all zu viel halte. Und weil sich daran seit Februar 2010 nichts wesentliches geändert hat, gibt es diesmal auch keinen Rallyebeitrag von mir.

Eine Zusammenfassung der erschienenen Beiträge folgt wohl demnächst bei Iris (und der Link dazu wird hier nachgetragen).

4 Gedanken zu „Weinrallye #50: Ein Déjà-vu“

  1. So sei es! Kirchlich ausgedrückt: Amen. „Seit Februar 2010 nichts wesentliches geändert“, darum zurück zu den alten Argumenten. Ich bin weder Biofreak, mache auch keinen Wein und ich bin nur beim Genuss auf Glaubensfragen wie Bio-, Natur- oder Konsorten-Wein angewiesen und da eher zur „traditionellen“ Linie neigend. Doch: „Wer Werte bewahren will, muss Veränderungen zulassen“, so oder ähnlich habe ich irgendwo gelesen. Weil ich etwas davon beherzigt habe, ist und war es mir schon vergönnt, neue, grossartige Erfahrungen zu machen, sicher auch arge Enttäuschungen mit dem weiten (schlechtdefinierten) Begriff Naturwein. Nicht viel anders, als mit „traditionellen“ Weinen. Vielleicht lohnt es sich doch einzulassen auf Veränderungen, auch wenn es nur gedanklich ist.
    Herzlich
    Peter Züllig

  2. Sehr geehrter Peter Züllig,

    irgendwie habe ich den Eindruck, dass sie mich bzw. meinen Beitrag ein wenig falsch verstanden haben. Ich bin mehr als bereit, mich „auf Veränderungen einzulassen“, um „Werte zu bewahren“. Aber ich schalte bei Veränderungen auch wenn sie moralisch, plausibel und von durchaus kompetent scheinender Seite kommen nicht mein Hirn und meine kritische Beobachtungsgabe aus.

    Und weil mir letztere immer wieder (und auch bei natürlich weiterer Auseinandersetzung mit dem Thema seit dem Beitrag 2010) sagt, dass unter der Flagge „Naturwein“ mehr „heile Weinwelt“ verkauft wird, als der Realität entspricht und die „Ursprünglichkeit des Geschmacks“ nicht selten simple mikrobiologische und andere (Fehl-)Entwicklungen sind bleibe ich weiterhin skeptisch. „Der ist ja nackt!“, möchte man da gelegentlich rufen.

    Was schmeckt und nicht, bleibt letztlich immer subjektiv. Ich für mich bin mir auf jeden Fall sicher, dass es innerhalb der drei, vier Grundpfeiler der Weinherstellung wie sie seit jahrzehnten und Jahrhunderten in den allermeisten Weinbaugebieten praktiziert wird mehr als genügend stilistische Spielräume und Veränderungsmöglichkeiten gibt. Auf die wenigen Grundregeln auch noch zu verzichten, wie das bei manchen Naturweinen erfolgt halte ich für verzichtbar.

    Herzliche Grüße

    Bernhard Fiedler

  3. Lieber Herr Fiedler
    Für mich sind Weine Geschichten, oft wunderbare Geschichten, genau so oft aber auch Kitsch und Schund (zu lesen: unecht und verlogen). Dies hat mit Bio- oder „vin naturel“ wenig oder nichts zu tun. Ich bin „nur“ Konsument, seit Jahrzehnten. Einst ausgegangen vom Genussmenschen (der einfach Wein gerne hat) und gelandet beim kritischen Geniesser, der seine Erlebnisse nicht in Philosophien, sondern in Geschichten verpackt.
    Häuser werden seit Jahrhunderten so und so gebaut, nach Gesetzen der Statik, den Erfordernissen des Materials, der Technik, der Ästhetik, des Wissens und Könnens. Ein Blick über die bebaute Landschaft (ob städtisch oder ländlich) verrät zwar eine gewisse Variation, aber doch eine fast schon monotone Einförmigkeit. Genau so sehe ich es beim Wein. Vielleicht genügt es nicht, einfach neues Können einzusetzen, die alten Baugesetzmässigkeiten zu variieren, sie auszuloten und damit zu spielen. Vielleicht müssen doch die vermeintlichen Grenzen ab und zu gesprengt werden – um zu weiter zu kommen. Weiter – in diesem Fall auf dem Weg, zum „besten“ (genussvollsten) Wein. Dass darin auch viel Subjektivität liegt, ist mir bewusst.
    Es ging mir überhaupt nicht darum, Sie und Ihren Standpunkt bezüglich „Naturweine“ (soweit ich dies gelesen und verstanden habe) in Frage zu stellen.
    Mich hat einfach gereizt, etwas zu hinterfragen, was scheinbar in den Grenzen und Gesetzen der Normen liegt.
    Bleiben wir beim Bild des Hausbaus. Vor über dreissig Jahren – da hat noch kaum jemand offiziell von Bio gesprochen – haben wir eine Siedlung gebaut, man nannte sie „Bio-Dörfli“. Da bin ich gelandet (eher zufällig als biobewusst) und lebe heute noch da. Es war irgendeine Verrücktheit (die auch mit den Erfahrungen in vielen Dingen korrigiert wurde), aus der aber etwas geworden ist: Lebensqualität. Zwar ein Stück Anderssein – dafür Wohngenuss und persönliches Wohnglück. Ohne den bewussten Aufbruch in eine damals „revolutionäre“ Bauwelt (kein Beton, kein Plastik, keine chemischen Farben, kein…. weiss der Teufel was alles) wäre das, was heute ist, und in allen Variationen auch in den „konventionellen“ Bau eingeflossen ist, nie entstanden. Und wenn ich noch verrate, dass ich mit der ganzen Bio- oder Natur-Philosophie wenig bis nichts anfangen kann, aber auf das Produkt, welches daraus entstanden ist (nicht nur bautechnisch, auch gemeinschaftlich, menschlich, genüsslich) nicht verzichten möchte, dann wird vielleicht mein Gedanke fassbarer.
    Genau so ergeht es mir mit dem Wein. Umso mehr Weinerfahrung ich habe, umso mehr Geschichten mir die Weine erzählen, umso mehr bin ich überzeugt, es braucht immer wieder Pioniertaten, wie (in diesem Fall) eben Naturwein oder wie das Ding auch immer heissen mag. Herzlich
    Peter Züllig

  4. Lieber Peter Züllig,

    danke für die ausführliche Erklärung. Die ersten beiden Zeilen ihres ersten Postings haben mich doch ein wenig irritiert…

    Wahrscheinlich ist es ja Zufall, auf jeden Fall aber passend: Ich wohne nicht in einem Bio-Dörfli, sondern in jenem Haus, das meine Urgroßeltern und deren Vorfahren wahrscheinlich in den Jahren 1877 und 1897 erbaut haben. Vor 15 Jahren haben wir es grundlegend renoviert und bei allen Versuchen, der Substanz gerecht zu werden nicht auf „neues Können“ und Beton verzichtet.

    Ich glaube nicht, dass man die Gesetze der Statik, die Erfordernisse des Materials, der Technik, der Ästhetik, des Wissens und Könnens mit revolutionären Verrücktheiten sprengen muß, um weiter zu kommen. Dazu erscheint mir nämlich die Architekturgeschichte der letzten Jahrtausende, die bei allen Änderungen doch auf den selben drei, vier Grundpfeilern ruht, bei weitem zu vielfältig. Und nicht „fast schon monoton einförmig“.

    Es mag interessant, ja gewagt und herausfordernd erscheinen, Häuser zu planen, die man z.B. nicht durch Türen betritt, sondern indem man durch deren Fenster klettert. Wirklich sinnvoll und als Fortschritt zu werten ist das freilich nicht. Genauso mag es für manche interessant und herausfordernd erscheinen, z.B. den allergrößten Teil der Traubenaromen eines Weines mittels SO2-Verzicht, Amphorenlagerung und Wasweisichnochalles weitgehend wegzuoxidieren. Fortschritt ist das freilich keiner…

    Schwieriger und spannender ist es da schon, die Türen nicht abzuschaffen, sondern ihren tieferen Sinn, ihre Lage, Größe und Umgebung laufend zu hinterfragen und – mitunter auch mit technischen Neuerungen – so zu optimieren, dass sie ihre Aufgabe bestmöglich erfüllen. Also entweder der Ästhetik des Bauwerks oder dem praktischen Nutzen des Bewohners oder idealerweise beidem bestmöglich dienen. Die Weinbereitung also ausgehend von deren jahrhundertealtem Grundgedanken mit modernem Wissen in ihren Details Jahrgang für Jahrgang versucht so zu verbessern, dass die Weine den Ausdruck ihrer Sorte und/oder Herkunft und/oder (je nach Qualitätsstufe des Weines und Ambition des Kellermeisters) dem Geschmacksbild des Konsumenten entsprechen.

    So wie es jede Menge „normaler“ Bauwerke gibt, die grandiose Geschichten erzählen, gibt es auch jede Menge Kulturweine, die viele spannende Dinge zu erzählen haben. Mag sein, dass mache Weinfreaks mit der Zeit für die enorme Vielfalt ihrer leisen Töne etwas unempfindlich werden, und die durch ihren „schrägen“ Geschmack lauter schreienden Naturweine deshalb als spannende Abwechslung, ja gar als Pioniertat empfinden. Ich höre bzw. sehe das halt anders.

    Herzliche Grüße

    Bernhard

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