Der sogenannte Essigstich eines Weines wird von einem erhöhten Gehalt an flüchtigen Säuren hervorgerufen. Anders als z.B. die Weinsäure verdampfen sie in geringen Mengen schon bei Trinktemperatur und sind deshalb für uns Menschen riechbar.
Damit sind Essigsäure und Co. ein wichtiger Aromaträger für jeden Wein. Sobald ihre Werte jedoch das normale Maß von wenigen Zehntelgramm, die bei jeder Gärung und jedem Säureabbau entstehen überschreiten, werden sie früher oder später von jedem Verkoster als unangenehm stechend wahrgenommen. Je nachdem in welcher Form die flüchtigen Säuren vorliegen, reicht ihr Geruch von Essig bis zu Lösungsmitteln und Klebstoff.
Weißwein kann weniger dieser Aromen in seinem Bukett „verstecken“, als kräftige Rotweine, und diese wiederum weniger als Süßweine aus edelfaulen Trauben. Trotzdem findet man diesen Fehler bei Rotweinen häufiger, als bei trockenen Weißen, weil bei letzteren zwei der drei Risikofaktoren nur selten anzutreffen sind.
Essigfaule Trauben
Werden die Beerenschalen während der Reife verletzt, können die dort natürlich vorkommenden Hefen aus dem Traubenzucker Alkohol und Bakterien daraus Essigsäure bilden. Besonders bei feucht-kühler Witterung, Wespenfraß und spätem Hagel.
Daneben bilden aber auch Schimmelpilze flüchtige Säuren, die bei der sogenannten Edelfäule (d.h. unter vergleichsweise trockenen Bedingungen bei reifen Trauben auftretende Botrytis cinerea) normalerweise gut in das „noble“ Geschmacksbild des Weines integriert sind.
Tritt die Botrytis jedoch zu früh auf, oder entwickeln sich aufgrund anhaltend feuchter Witterung auch andere Schimmelarten auf den Trauben, können die Essigsäurewerte weit darüber hinausgehen.
Auch der sorgfältigste Weinbauer ist nicht vor solchen Entwicklungen gefeit. Er kann und wird aber mit ensprechend selektiver Handlese weitgehend verhindern, dass solche Trauben in die Presse und damit die Essigsäure (samt Bakterien) in seinen Most gelangen.
Darüber hinaus wird er sich bemühen solches Risikotraubenmaterial möglichst rasch, kühl, mit wenig Luftkontakt und dem Einsatz von SO2 weiterzuverarbeiten, um die Vermehrung der Essigsäurebakterien zu bremsen. Außerdem empfiehlt sich der Einsatz von Reinzuchthefen, damit die echte Weinhefe das Geschehen so rasch wie möglich dominiert.
Nach der Gärung ist die Gefahr zwar nicht völlig gebannt, aber wenn man das Traubenproblem bis zu diesem Stadium im Griff hat, droht von dieser Quelle bei entsprechend sorgfältiger Jungweinbehandlung normalerweise keine Gefahr mehr.
Gärprobleme und der biologische Säureabbau
Läuft die alkoholische Gärung allerdings nicht so, wie gewünscht, können auch dabei größere Mengen an flüchten Säuren entstehen. Entweder, weil sich bei einer Spontangärung Hefe- und Bakterienstämme durchsetzen, die aus dem Zucker nicht nur Alkohol, sondern auch Essigsäure bilden. Oder wenn eine Gärung steckenbleibt, die echte Weinhefe abstirbt und andere Mikroorganismen im halbfertigen Wein aufleben.
Ein ähnliches Szenario ist relativ häufig beim Rotwein anzutreffen, bei dem nach der alkoholischen Gärung üblicherweise der biologische Säureabbau durchgeführt wird. Die dafür notwendigen Bakterien wandeln nämlich statt Äpfelsäure- zu Milchsäure viel lieber Zucker zu Essigsäure um, und schon (oft unbemerkte) wenige Gramm Restzucker können den Essigsäuregehalt während des Säureabbaus deutlich nach oben treiben.
(Aus diesem Grund sind übrigens die allermeisten qualitativ ernstzunehmenden Rotweine völlig trocken. Und die wenigen, die es nicht sind, haben entweder keinen Säureabbau durchlaufen oder wurden mit größter Wahrscheinlichkeit nach dem Säureabbau mit Süßreserve aufgepeppt.)
Risikofaktor Lagerung
Auch während der folgenden Reife sind Rotweine stärker gefährdet als Weißweine. Um ihre Entwicklung zu fördern lagern sie manchmal wärmer, oft mit etwas geringeren SO2-Dosen und meist mit deutlich mehr Luftkontakt als die Weißen.
Darüber hinaus haben sie höhere pH-Werte (d.h. sie sind weniger sauer), was ebenso zu den wesentlich günstigeren Lebensbedingungen für Bakterien aller Art beiträgt, die die Roten bieten.
Selbst ohne große Schlamperei kann es in einem Keller mit einer größeren Anzahl von Fässern schon einmal passieren, dass irgendwo vergessen wird, den durch die laufende Verdunstung hervorgerufenen Schwund im Faß zu ersetzen. Und dass die Intervalle zwischen den SO2-Kontrollen im Sommer länger werden, wenn die Arbeit im Weingarten kein Ende nehmen will.
Unter diesen Bedingungen können sich die von Natur aus auch in „gesunden“ Weinen vereinzelt vorkommenden Essigsäurebakterien rasch vermehren und in relativ kurzer Zeit gehörige Mengen an flüchtiger Säure bilden. Noch schneller geht das freilich, wenn die verwendeten Fässer nicht zuletzt wegen mangelhafter Reinigung bereits Bakterienkolonien von den vorangegangenen Befüllungen aufweisen.
Ist es einmal soweit, kann der Kellermeister im besten Fall noch die Notbremse ziehen und versuchen, die Bakterien mittels Sterilfiltration aus dem Wein zu holen. Die bis dahin entstandene Essigsäure läßt sich allerdings nicht mehr entfernen, und darüber hinaus bleibt das Risiko hoch, dass die Infektion wieder aufflammt.
Bakterien sind nämlich wegen ihrer geringeren Größe deutlich schwerer vollständig aus dem Wein zu entfernen als Hefen, und Fässer, die vielleicht für die weitere Reife des Weines notwendig wären, sind sowieso nie steril. Genau deshalb bieten vorbeugende Sterilfiltrationen im Jungweinstadium bevor die Weine in die Fässer kommen auch keine absolute Sicherheit (bedeuten aber auf jeden Fall eine ziemliche Belastung für die Weine).
Verschnitte mit fehlerfreien Weinen sind ebenfalls aus diesem Grund eine sehr riskante Sache. Im besten Fall kann man zwar vielleicht einen erhöhten Essigsäurewert auf ein vertretbares Ausmaß drücken und den Wein damit brauchbar (aber niemals wirklich gut) machen.
Geht die Sache aber schief und die Bakterien arbeiten munter weiter, werden auf diese Weise schnell aus vielleicht wenigen hundert Litern Problemwein einige tausend oder zehntausend Liter verdorbene Ware.
Weiterführende Informationen des Oenologen Volker Schneider zum Thema finden Sie hier:
Hallo Bernhard,
wie oft kontrolliert ihr bei euren Fäßern den Schwund?
Schöne Grüsse Roland
Hallo Roland,
ich fülle unsere Fässer etwa alle vier Wochen auf. Im Winter eher seltener (Keller kalt und mikroorganismenbremsend, rote Jungweine eher sauerstoffbedürftiger), im Sommer eher häufiger.
Zwischen dem regulären „Stiften“ nütze ich außerdem jede sich bietende Gelegenheit, wenn ich also z.B. unmittelbar vor Abfüllungen oder beim Umziehen einer Charge problemlos Wein zum Auffüllen „abzweigen“ kann, ohne dass deswegen ein Faß nicht voll bleiben muß.
Grüße Bernhard
was tun wenn Wein essigstichig ist oder riecht?
Wenn ein Wein merkbar essigstichig ist, kann man eigentlich nichts mehr tun. Selbst Verschnitte mit gesunden Weinen um den Essigsäuregehalt unter die Wahrnehmungsgrenze zu drücken sind extrem heikel. Wenn man nämlich nicht extrem steril dabei arbeitet ist schnell die Gesamtmenge Essig und das Problem nicht behoben sondern vergrößert.