Wie das Internetportal Wein-Plus hier unter Berufung auf die Originalmeldung des britischen „Telegraph“ berichtet, sollen bei der International Wine Challenge in London 2,2 Prozent der mit Schrauber verschlossenen Weine durch Schwefelverbindungen im Geruch beeinträchtigt gewesen sein. Auffallend viele der insgesamt 9000 Flaschen sollen nach faulen Eiern, der typischen Beschreibung für den Weinfehler „Böckser“ gerochen haben.
In reißerischer Medien-Manier wird Alarm geschlagen und Millionen Weinflaschen werden möglicherweise negativ beeinträchtigt gesehen. Dabei ist die Sache nur ein Sturm im Wasserglas. Wie diese aufgrund der Meldung nur kurz wieder aufgeflackerte Diskussion und dieser schon im Sommer erlahmte Thread bei „Talk about wine“ zeigt, handelt es sich um einen ziemlich alten Hut.
Worum geht es dabei?
Jeder Wein braucht während seiner Entwicklung ein gewisses Maß an Sauerstoff. Zuviel davon oxidiert Aroma- und Farbstoffe und läßt die Weine vorschnell altern. Zuwenig macht die Weine verschlossen und begünstigt die Entwicklung „reduktiver“ Aromen nach Knoblauch, Schwefel und faulen Eiern.
Werden Weine, die an einem sensorisch nicht unmittelbar schmeckbaren „Sauerstoffmangel“ „leiden“ bei der Abfüllung mit Naturkorken verschlossen, wird dieser Mangel in der Flasche nie wirklich spürbar, da der Kork eine gewisse (von Kork zu Kork, also von Flasche zu Flasche unterschiedliche) Menge Sauerstoff zum Wein läßt. Unter diesen Bedingungen entwickelt sich der Sauerstoffmangel nicht zum Fehler, der Kork „repariert“ also den Wein.
Schraubverschlüsse sind hingegen praktisch gasdicht und deshalb kann aus dem nicht schmeckbaren „Sauerstoffmangel“ eine schmeckbare negative Veränderung der Aromen entstehen, wie sie offenbar auch die Koster bei der Wine Challenge des öfteren beobachten konnten.
Da sich Weine, die nicht unter „Sauerstoffmangel“ leiden auch unter Schraubverschlüssen nachgewiesenermaßen gut entwickeln können, spricht dieses Phänomen nicht gegen den Schrauber an sich, sondern höchstens gegen die Kellermeister. In der Oenologie gelten nämlich nicht nur spürbare reduktive Aromen und Böckser als Fehler, sondern auch die kaum schmeckbare, aber von Profis trotzdem wahrnehmbare Neigung der Faßweine vor der Füllung. Auch wenn es eine kleine Gruppe von Weinfreaks gibt, die reduktive Aromen, Stinkerl und Böckser nicht ablehnt, sondern sogar schätzt oder in jungen Weinen zumindest akzeptiert.
Wenn man die unangenehme reduktive Entwicklung von Weinen unter Schraubverschluß dem Schrauber anlasten will, müßte man fairerweise auch die vorzeitige Oxidation von Weinen mit (aus verschiedenen Gründen) sehr geringem SO2-Spiegel in der Flasche dem Naturkork anlasten. Aber auch in diesem Fall liegt der Fehler beim Kellermeister, nicht beim Verschluß. Und man müßte auch dem Werkstoff Edelstahl eine Mitschuld geben. Schließlich hat er praktisch alle Messingarmaturen und -geräte aus den Weinkellern verdrängt und mit ihnen jene geringen Mengen an Kupfer, die der Wein aus ihnen gelöst hat und die leichte Böckseraromen wirksam bekämpfen.
Und was kann man dagegen tun?
Wenn man als Kellermeister so wie ich immer schon Weine abgefüllt hat, die nicht zur Reduktivität neigen, muß man bei der Umstellung von Naturkork auf Schrauber kaum etwas verändern um einer reduktiven Entwicklung in der Flasche vorzubeugen. Wenn man also beim Weiß- und/oder Rotwein eine oder besser mehrere der folgenden Maßnahmen praktiziert…
- keine oder nur geringe Schwefelung von Trauben, Maische und Most oder sogar bewußte Mostoxidation
- gute aber nicht zwangsläufig radikale Vorklärung („Entschleimen“) des Weißweinmostes, um das spätere Hefe- und Trubdepot im Jungwein („Geläger“) zu reduzieren
- ausreichende Belüftung während der Gärung, um den reduktiven Einfluß der Hefe abzuschwächen
- Aufrühren der Hefe während der Endphase der Gärung um ein zu frühes kompaktes und dadurch besonders reduktives Hefedepot zu vermeiden
- nicht zu frühe, ausreichende, aber angepaßte Schwefelung entgegen der „Lehrmeinung“, die meist eine frühe und höhere Schwefelung „auf Nummer sicher“ empfiehlt
- längere Lagerung der Jungweine auf der Hefe bzw. Feinhefe mit mehr oder weniger intensivem Aufrühren bei täglicher sensorischer Kontrolle des Weines und des Hefedepots
- ABER: sofortiges Abziehen von der Hefe, wenn die Kontrolle einen Verdacht auf eine reduktive Entwicklung ergibt (Wein und/oder Hefe entwickeln sich langsam in eine wenig positive Richung, Geruch nach Gemüse, gekochte Erbsen,…)
- Erhaltung des Oxidationsschutzes durch laufende Ergänzung des SO2 nach Bedarf auf moderate Werte
- längere Reifezeit im Tank oder (noch besser) im Faß, unter Umständen mit vorsichtiger (Weißwein) oder bei Bedarf auch starker (Rotwein) Belüftung beim Umziehen
- Festlegung des Füllzeitpunktes nach der Entwicklung des Weines, nicht nach dem Kalender
- Einstellung des SO2-Gehaltes für die Füllung auf einen moderaten Wert
… dann steht einer positiven Entwicklung des Weines in der Schrauber-Flasche nach menschlichem Ermessen nichts im Weg.
Wäre ich hingegen für Weine bekannt, die ob ihrer leichten Böckser, Stinkerl oder Sponti-Aromen in ihrer Jugend nur von echten Freaks geschätzt werden, würde ich mir den Umstieg von Naturkork zum Schrauber sehr sehr gut überlegen…
Was bleibt also von der Alarm-Meldung?
2,2 Prozent der Kellermeister können offensichtlich mit dem Schrauber nicht umgehen. Wenn man davon ausgeht, daß der Großteil der Schrauber-Weine bei der Wine Challenge aus Übersee stammt, ist das vielleicht verwunderlich, gleichzeitig aber auch nachvollziehbar. Gerade von den Großkellereien der neuen Weinwelt könnte man nämlich einerseits annehmen, daß sie die neue Technologie beherrschen. Andererseits aber auch, daß es ihnen besonders schwer fällt, ihren zum Teil extrem reduktiven Stil der Weinbereitung zu überdenken.
Das die Quote für Neuseeland nur bei 1,7 Prozent liegt, mag ein kleines Zeichen dafür sein, daß die Kiwis als Schrauber-Pioniere ihre Lektion besser gelernt haben. Eigentlich ist die Differenz zu den 2,2 Prozent der gesamten Probe aber zu vernachlässigen (oder zumindest keine Heraushebung durch die Journalisten wert).
Danke Bernhard,
das hat jetzt wieder ein wenig mehr Licht in mein Dunkel gebracht 😉
Jürgen
Hallo Bernhard!
Herzliche Gratulation zu deinem Weinblog! Ich lese immer wieder gerne die interessanten und toll geschriebenen Artikel! Ich verschließe seit drei Jahren (seit zwei Jahren 100%) alle meine Weine mit dem Schraubverschluss und kann nur über beste Ergebnisse bzgl. Entwicklung und Reifung der Weine berichten. Allerdings ist dem Konsumenten gegenüber immer noch viel Erklärungsbedarf notwendig, wenngleich sich auch die Akzeptanz dieser in den letzten Jahren rapide gebessert hat.
lg aus dem Weinviertel,
Herbert Z.
Gratulation, toll geschrieben. Ich verstehe nur nicht, warum die Screw-Cap-Vertreter die Winzer nicht besser einschulen. Denn auch uns Verkostern macht es wenig Spass ständig nur Schwefel zu riechen – und sei es nur, weil gleich viel geschwefelt wird, wie beim Kork.
Nur bei einem gebe ich dir nur teilweise Recht: Denn wirklich gute Naturkorken sind gleich gasdicht, wie Schrauber. Nur sind die nahezu ausgestorben. Also hast du doch Recht.
Lieben Gruss. Knalli.
Moin, moin Bernhard,
vielen Dank für Deine mal wieder sehr deutlichen aber vor allem lesbaren und verständlichen Worte aus Sicht des Praktikers.
Grüße aus dem Norden und möge der Winter nicht mehr mit kräftiger Kälte zuschlagen
Wolfgang
Herzlichen Dank für die Blumen!
Liebe Grüße ins Weinviertel, nach Wien und in den Norden
Bernhard
Danke für den sehr kenntnis- und aufschlussreichen Beitrag. Ich selber hatte mich kürzlich mit den Thema beschäftigt natürlich nicht auf Kellermeisterniveau sondern nur als Schreiberling:
http://wh-schmitt.de/verschluss.html
http://wh-schmitt.de/kork.html
Herzlichen Dank und Grüße
FrankF
Hallo Frank!
Herzlichen Dank für Deine Links. Der zweite davon verweist u. a. auf eine Vorteil-Nachteil-Liste eines österreichischen Verschlußlieferanten, die ich persönlich etwas einseitig empfinde. Ohne alle Punkte im Detail kommentieren zu wollen möchte ich doch auf einige fragwürdige Argumente hinweisen:
Dem Schraubverschluß wird als Nachteil atestiert, „keine Flaschenreifung“ zu ermöglichen. Was so ganz einfach nicht stimmt, wie zahlreiche Diskussionen und wissenschaftliche Arbeiten belegen können. (Ich bin aber einfach zu faul wieder einmal auf die entsprechenden Links bei taw, verschlussachewein.de und andere Quellen hinzuweisen.)
Dafür fehlt der neben TCA entscheidende Hauptnachteil des Naturkorken: Die enormen Flaschenunterschiede, die durch unterschiedliche Sauerstoffdurchlässigkeit innerhalb einer Korkcharge verursacht werden. Vor allem, aber nicht nur bei reiferen Weinen.
Der Kork ist angeblich eine „Grundlage wichtiger regionaler Ökosysteme„. Abgesehen davon, daß das es wohl kein Argument für die Verwendung eines qualitativ nicht unproblematischen Produktes sein kann, das damit Ökosysteme geschützt werden: Durch die zu große Nachfrage nach Kork in den letzten Jahren wurden die Bäume weit weniger nachhaltig bewirtschaftet, als früher. Man könnte also genausogut argumentieren, daß der Verzicht auf den Kork als Flaschenverschluß das Ökosystem schützt.
Und wenn man schon darauf hinweist, daß Kork „verrottbar“ (sic!) ist, müßte man fairerweise darauf hinweisen, daß der Schrauber weitgehend recyclierbar ist.
Grüße
Bernhard
Hallo, wie ist das denn, wenn man Wein mit Siegellack versiegelt? Kann das ähnliche negative Effekte haben? Das interessiert mich schon seit längerem. Manche schwören drauf und andere lehnen es total ab. Gibt es da gesicherte Erkenntnisse? Viele Grüße Wolf
Hallo Wolf!
Das kommt wohl darauf an, wie gasdicht Siegellack bzw. Wachs ist. Und ich weiß nicht, ob das schon jemand untersucht hat.
Abgesehen davon halte ich vor allem Siegellack (aber auch Wachs) für ziemlich lästig, weil es eine Heidenarbeit ist, den vor dem Öffnen der Flasche halbwegs sauber von der Mündung zu bekommen.
Grüße
Bernhard