Neulich fand ich im Weinbuchregal meiner Lieblingsbuchhandlung Paul Tordays „Bordeaux“ und war darüber etwas verwundert, weil Weinkrimis sonst üblicherweise unter „Krimi“ und nicht unter „Wein“ zu finden sind.
Und um einen Krimi handelte es sich wohl, schloß ich aus dem Kurztext auf der Rückseite:
Frankie Wilberforce, Anfang dreißig, IT-Unternehmer, Single, weiß genau, was er will. Bis er sich verführen lässt. Er verliebt sich, er kauft einen Weinkeller, er genießt das pralle Leben. Doch dann fällt er umso tiefer…
Recht schnell stellte sich beim Lesen aber heraus, dass sich der „Roman in vier Jahrgängen“ nicht um ein Verbrechen dreht, sondern ausschließlich um den dramatischen Verfall der Hauptfigur, an dem das titelgebende Getränk einen entscheidenden Anteil hat.
Torday erzählt die Geschichte von hinten nach vorne, und so beginnt das Buch mit der grandiosen Vorstellung des Alkoholikers Frankie Wilberforce im Endstadium seiner Suchtkrankheit. Der Autor verzichtet dabei auf plakative Darstellungen und führt den Leser Schritt für Schritt in die Welt der Hauptfigur ein.
Die anfangs eher als störend empfundenen abrupten Szenenwechsel entpuppen sich dabei nach und nach als perfekt eingesetztes Stilmittel, um die Brüche in der Wahrnehmung der Hauptfigur geradezu fühlbar zu machen.
Mit jedem Kapitel wächst die Neugier des Lesers auf das Vorleben von Wilberforce. Obwohl erzähltechnisch sicherlich nicht einfach, gelingt Paul Torday trotz, oder wohl eher sogar wegen des vorweggenommenen Endes ein höchst spannendes und äußerst detailreiches Buch.
Dabei ist „Bordeaux“ ist kein Weinkrimi, und auch kein Buch über Alkoholismus in der Weinszene. Denn auch wenn dem Wein eine prominente Nebenrolle zukommt, dreht sich der Roman vor allem um die Psyche der Hauptfigur Frankie Wilberforce:
Als Kind unbekannter Eltern von einer Pflegefamilie lieblos erzogen, mathematisch talentiert und mit einer großen Portion Glück höchst erfolgreich in der Software-Branche überkommt ihn mit 30 eine Art Midlife-Crisis, die keinen Stein in seinem Leben auf den anderen läßt. Falsche Freunde, echte Liebe und eine nachgeholte Vater-Sohn-Beziehung mit verhängnisvollen Folgen…
Mit diesen Zutaten ist der Roman keine leichte Kost. Die Beschreibung des Daily Telegraph, der laut Klappentext von einem „wahnsinnig unterhaltsamen Buch“ schreibt, fällt für mich in die Kategorie „Britischer Humor“. Aber dafür schafft „Bordeaux“, was nur gute Bücher können: Sie regen zum Nachdenken an.
Paul Torday
Bordeaux
Ein Roman in vier Jahrgängen
Berlin Verlag
ISBN 978-3-8270-0808-4
317 Seiten, € 20,50