Von Zutaten und Zukunftsaussichten

Seit einiger Zeit wird eine EU-weite Angabe von Nährwert und Zutaten auf Weinetiketten diskutiert, wie bei anderen Nahrungs- und Genussmitteln bereits vorgeschrieben. Ab 8. Dezember ist sie jetzt verpflichtend, aber weil die neuen Bestimmungen Weine betreffen, die ab diesem Datum hergestellt werden, wird es noch dauern, bis man die neuen Etiketten allgemein auf dem Markt finden wird.

Die allermeisten Weine des Jahrgangs 2023 gelten nämlich (mit Ausnahme von nach dem 8. 12. geernteten Prädikatsweinen) als davor „hergestellt“, sodass wohl oft die Perlweine die ersten mit neuen Etiketten sein werden. Juristisch gesehen ist der Zeitpunkt ihrer Herstellung nämlich nicht die Ernte oder die Gärung, sondern die CO2-Dosage bei der Abfüllung, die sie zum Prickeln bringt.

Der Wert der Transparenz

Als jemand, der Transparenz und dadurch ermöglichte eigenverantwortliche Entscheidungen von Menschen in allen Lebensbereichen für etwas Positives hält, kann ich den Gedanken hinter den neuen Bezeichnungsvorschriften durchaus nachvollziehen. Schließlich ist die offene Information darüber, wie wir unsere Weine produzieren auch ein Kernanliegen dieses Blogs, zum Beispiel mit den Serien „Von Traube zu Weißwein“ und „Wie entsteht Rotwein?„. Und in den Beiträgen der Kategorie „Der gläserne Wein“ habe ich sogar schon vor 15 (!) Jahren meine Weinzutaten offengelegt.

Vielleicht verändern die neuen Bestimmungen ja die Wahrnehmung von Wein und schaffen, was ich mit meinen Texten aufgrund meiner beschränkten Reichweite nicht erreichen konnte: Eine differenzierte Sichtweise auf die moderne Weinproduktion jenseits der (gerne auch von manchen Produzenten gepflegten) Naturprodukt-Klischees und der Moralisiererei. Gut möglich, dass es den einen oder die andere zum Nachdenken bringt, wenn auf den Etiketten von hochgeschätzten Lieblingsweinen jetzt Zutaten auftauchen, die sie bisher unreflektiert der industriellen Massenproduktion zugeordnet und weit von sich gewiesen haben.

Schön wär´s zumindest, aber meine diesbezügliche Hoffnung ist recht bescheiden. Darüber hinaus halte ich den mit den neuen Etikettierungsvorschriften gewählten Weg zu mehr Transparenz aus vielerlei Gründen für problematisch und kann manche Kritik daran durchaus nachvollziehen.

Wie aufklären?

Die neuen Bestimmungen sehen vor, dass alles, was zur Herstellung eines Weinerzeugnisses verwendet wird und in jedweder Form im Endprodukt verbleibt als Zutat angeführt werden muss. Weinbehandlungsmittel und Filterhilfsstoffe, die wieder vollständig aus dem Wein entfernt werden, müssen hingegen nicht angegeben werden.

Letzteres kann man zwar kritisieren, weil die Verwendung dieser Mittel interessante Hintergrundinfos liefert und ihre Deklaration noch mehr Transparenz schaffen könnte. Man kann aber auch den gewählten Ansatz verstehen, dass nur deklariert werden muss, was letztlich auch in der Flasche landet, zumal wohl nur Fachleute den Einsatz von Behandlungsmitteln richtig deuten könnten und selbst diese nicht mit letzter Sicherheit. Das gilt allerdings auch für die allermeisten deklarationspflichtigen Zusatzstoffe, denn – Hand aufs Herz – wer weiß schon warum z.B. manchen Weinen Wein- oder Äpfelsäure zugegeben wird und was das mit dem Klimawandel zu tun hat?

Natürlich kann man sich als Weinkonsument, der die Hintergründe davon nicht kennt auf den Standpunkt stellen, dass es nicht mehr braucht, um guten Wein zu erzeugen als Trauben und allenfalls noch Sulfite, denn schließlich haben es viele Weinbauern ja immer schon so gepredigt. Dieser Ansatz ist auch nicht falsch, und für viele Produzenten durchaus ein Ideal, das sie anstreben. Allerdings bedeutet das nicht, dass Weine, deren Zutatenliste etwas länger ist zwangsläufig schlecht(er) sind. Zu sehr kommt es darauf an, welche Zusatzstoffe man wann, warum, wie und in welcher Dosierung verwendet.

Weil diese Hintergrundinfos aber natürlich nicht auf Weinetiketten passen, halte ich den Nutzen der jetzt verpflichtenden Zutatenliste für ziemlich gering. Okay, man weiß jetzt genauer, was man (mit)trinkt. Aber was ändert das, wenn es sich ohnehin ausschließlich um unbedenkliche, einer ausdrücklichen Zulassung bedürfenden Stoffe handelt in einem Produkt, dessen aus gesundheitlicher Sicht problematischster Inhaltsstoff der natürlich entstandene Alkohol ist?

Einige wenige Weinfreaks werden die Zutatenliste wohl als vermeintlichen Beweis für industrielle Weinherstellung betrachten und wie schon bisher (nicht selten sehr offensiv) alle Weine ablehnen, deren Zutatenliste länger ist als ihre Moral das zulässt. Manche Profis werden wahrscheinlich gelegentlich spannende Hintergründe aus der Liste herauslesen, ihre Weinvorlieben und Beurteilungen aber auch weiterhin kaum davon abhängig machen. Einzelne Konsumenten wird die Liste vielleicht anregen, sich stärker mit der Weinherstellung zu beschäftigen und wenn sie gute Antworten auf die Fragen, die die Liste für sie aufwirft, erhalten wird sich ihr Weinhorizont erweitern. Und die allerallermeisten Weintrinker werden die Zutatenliste auf den Etiketten mit ziemlicher Sicherheit gar nicht bewusst wahrnehmen oder sie wird ihnen – allenfalls nach einer kurzen Gewöhnungsphase an diese Neuerung – ziemlich egal sein.

Letzteres gilt noch viel mehr für die verpflichtende Angabe des Nährwertes auf dem Etikett. Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand seine Weinauswahl nach dem Kaloriengehalt ausrichtet. Oder nach der vorgeschriebene Angabe, dass geringfügige Mengen von Fett, Eiweiß und Salz im Wein enthalten sein könnten.

Theorie und Praxis

Diese Verpflichtung im Wein völlig irrelevante Inhaltstoffe angeben zu müssen ist ein schönes Beispiel dafür, wie solche Regelungen häufig funktionieren. Sie gelten standardisiert für viele Branchen und unabhängig vom betrieblichen Hintergrund. Damit erleichtern sie theoretisch die Wahrnehmung und Vergleichbarkeit, in der Praxis führen sie mit ihrem starren Schema allerdings häufig die Bezeichnungsvorschriften geradezu ad absurdum und blähen Infos auf ohne einen relevanten Nutzen zu bieten.

Als Produzent könnte einem das ja egal sein. Vorschrift ist Vorschrift und wenn sie für alle gilt, hat man davon ja auch keinen Wettbewerbsnachteil. Eine große Herausforderung bleiben die neuen Bezeichnungsvorschriften freilich trotzdem, insbesondere für kleinere, familiär geführte und handwerklich arbeitende Betriebe. Und umso mehr für Weinbauern, denen – talent- oder altersbedingt – das Keltern ordentlicher Weine mehr liegt, als die Auseinandersetzung mit Schriftgrößen, QR-Codes und digitalen Dienstleistern.

Letztere kommen ins Spiel, weil man einen Teil der verpflichtenden Angaben ins Internet auslagern und auf dem Etikett mit einem QR-Code auf die entsprechende Seite verweisen darf. Was in den meisten Fällen wohl den einzig gangbaren Weg darstellt, die Vorschrift zu erfüllen, denn auf den allermeisten Weinetiketten ist selbst für kurze Zutatenlisten und die komplette Nährwert- und Inhaltstoffangabe nicht genug Platz. Gänzlich unmöglich ist eine reine Etikettenlösung, wenn der Wein auch in anderen Ländern vermarktet wird. Sosehr nämlich die Angabe von Inhaltsstoffen und Zutaten EU-weit standardisiert wird, sowenig schafft die Union eine Vereinheitlichung der dafür geforderten Sprache. Weshalb alle Angaben in der jeweiligen Landessprache erfolgen müssen bzw. in manchen Ländern sogar in mehreren!

Damit verursachen diese Bezeichnungsvorschriften natürlich auch nicht zu unterschätzende Kosten. Weil die Daten online völlig werbefrei und ohne Cookies oder Analytik-Tools verfügbar sein müssen und die im QR-Code hinterlegte Webadresse eine Weinlebensdauer lang erreichbar sein muss, ist es praktisch kaum möglich, den Bestimmungen über eine bereits bestehende eigene Betriebswebsite Rechnung zu tragen. Man ist de facto also geradezu gezwungen, entsprechende Dienstleister zu engagieren. Das kostet natürlich ebenso Geld wie der Zeitaufwand, den es im Vorfeld braucht, sich in das Thema einzuarbeiten und erst einmal die passende Firma zu finden.

Recht oft wird wohl auch ein neues Etikettendesign notwendig werden oder zumindest ein größeres Etikettenformat oder Rücketiketten die es bisher nicht gab. Letzteres ist z.B. gerade bei günstigeren Qualitäts- und noch viel mehr Landweinen ein unmittelbar spürbarer Kostenfaktor. Viel teure Büroarbeit braucht dann aber auch der laufende Betrieb des gewählten Systems, denn die entsprechenden Aufzeichnungen müssen für jeden Wein jedes Jahr neu online eingegeben, Nährwerte aus Analysedaten berechnet, der erstellte QR-Code an Druckereien übermittelt und Probedrucke getestet werden.

Damit endet der Aufwand freilich noch lange nicht, denn die neuen Richtlinien schreiben vor, dass Nährwert und Zutaten nicht nur auf der Flasche ersichtlich sein müssen, sondern bei jeder Art von Bestellmöglichkeit vor dem Kauf. Das bedeutet nicht nur, dass die entsprechenden Angaben in Webshops integriert werden müssen, sondern auch in Preislisten, die z.B. auf die Möglichkeit einer Bestellung per Telefon oder Mail hinweisen.

Das mag harmlos klingen und ist im Webshop durch eine Verlinkung auf die QR-Code-Seite des Dienstleisters auch noch relativ einfach zu schaffen. Preislisten und gedruckte der elektronische Newsletter mit Bestellhinweis werden dadurch aber in ihrer bestehenden Form völlig über den Haufen geworfen und bis zur Unkenntlichkeit mit Kleingedrucktem überfrachtet. Ein einzelner Hinweis wo im Internet die Daten für alle Weine zu finden sind ist nämlich nicht zulässig, denn die Mündigkeit, sich die entsprechenden Infos von leicht verfügbarer Stelle selbst zu holen traut man dem Konsumenten offenbar nicht zu. Was natürlich auch dazu führt, dass die laufenden Änderungen der Preislisten durch Jahrgangswechsel einzelner Weine (die bei Betrieben mit vielen Sorten ja übers Jahr verteilt erfolgen) um einiges aufwändiger werden.

Kann man das schaffen? Natürlich. Man sollte aber sowohl als Weinfreund als auch noch viel mehr als Entscheidungsträger bedenken, dass solche unflexiblen und überbürokratisierten Vorschriften zum vemeintlichen Wohl der Konsumenten zwangsläufig Großbetriebe und hochpreisig vermarktende Weingüter für gehobene Zielgruppen begünstigen und kleinere Betriebe benachteiligen. Während sich der Aufwand bei ersteren nämlich auf hohe Flaschenzahlen verteilt und bei der Preiskalkulation der zweiteren nicht ins Gewicht fällt, schlägt die Belastung bei letzteren voll durch. Haben sie doch weder jene Produktionsmengen, die den Aufwand pro Flasche verschwindend klein machen, noch eine großartige Büroinfrastruktur, die das mal eben so nebenbei erledigt oder Weinpreise mit ausreichend Spielraum, um die Kosten der Bezeichnungsvorschriften problemlos unterzubringen.

So wie die österreichische Weinwirtschaft trotz Strukturwandel immer noch aufgestellt ist, gibt es viele solche Weinbaubetriebe. Sie produzieren solide Weine und vermarkten diese zu Preisen, von denen sie halbwegs gut leben, sich gleichzeitig aber auch Leute mit kleinerem Budget handwerklich gemachte gute Weine leisten können. Gerade deshalb sind sie in engem Kontakt mit Ottilie Normalverbraucherin und haben Stammkunden, die ihnen manchmal seit Jahrzehnten vertrauen. Sie halten das Leben am Dorf mit ehrenamtlicher Arbeit und ihrem Beitrag zu Landschaftspflege und Tourismus am Laufen. Sie zahlen brav ihre Steuern und schaffen Arbeitsplätze. Und sie machen die große Vielfalt des österreichischen Weines aus.

Selbstverständlich sperrt niemand seinen Weinbaubetrieb nur wegen der neuen Bezeichnungsvorschriften zu. Aber sie führen in Summe mit anderen Regulierungen die ebenfalls Industriemaßstäbe auf Klein- und Mittelbetriebe anwenden nach und nach dazu, dass manche die Lust an ihrer Arbeit verlieren, weil sie mehr mit Administration als mit ihrer Arbeit in Weingarten und Keller oder dem Kundenkontakt (der wohl besten Gelegenheit für Transparenz) beschäftigt sind. Dass sich für manche mittelfristig der Weinbau nicht mehr lohnt, weil sie auch ohne neue Etiketten die steigenden Kosten schon kaum noch an ihre Kunden weitergeben können. Dass eine Betriebsnachfolge für die Kinder dadurch wenig(er) attraktiv erscheint. Dass Betriebe verkleinert und Weinbauflächen gerodet werden und manche den Beruf auch komplett aufgeben. Und dass auf diese Weise die österreichische Weinbranche schleichend ihre Mittelklasse verliert und zunehmend von hochpreisigen Oberligaweinen einerseits und industriell gefertigten Massenprodukten aus Großbetrieben andererseits geprägt wird.

Ob das im Sinn der durch die Bezeichnungsverordnung „geschützten“ Konsumenten ist?

Titelfoto: Beispieletikett ohne QR-Code mit allen Infos auf dem Etikett
Bildquelle: Bundeskellereiinspektion/LK Österreich

2 Gedanken zu „Von Zutaten und Zukunftsaussichten“

  1. Hallo Bernhard,

    danke für deinen interessanten und wie immer sachlichen und reflektierten Bericht. Die ganze Geschichte ist wieder mal ein Paradebeispiel, wie aus einer zunächst guten und vernünftigen Idee letztlich ein überbürokratisierter Irrsinn geworden ist. Die gut gemeinte Absicht wird ins Gegenteil pervertiert. Ich glaube auch, dass die Bauernproteste hier in Deutschland letzten Endes nur wenig mit den gestrichenen oder gekürzten Subventionen zu tun haben. Die brachten das Fass jetzt halt zum Überlaufen. Im Grunde ist es aber die immer mehr ausufernde nationale, aber auch durch Brüssel verursachte Bürokratie. Aber dies ist ja leider nicht nur ein Problem der Landwirtschaft. In ganz vielen anderen Bereichen sieht es ähnlich aus, ob jetzt im Handwerk, der Pflege oder sonstwo. Da darf man sich dann nicht wundern, dass schlichtere Gemüter solch tumben Rattenfängern von Rechtsaußen auf den Leim gehen.
    Hoffen wir, dass irgendwann auch in der Bürokratie ein Einsehen entsteht. Solange trinken wir halt die Weine der kleinen familiengeführten Winzerbetriebe. Das Rücketikett nehmen wir dann staunend und amüsiert zur Kenntnis.
    Laßt euch nicht unterkriegen!
    Liebe Grüße
    Werner Lichtenberger

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