Obwohl wir schon viele Jahrgänge erlebt haben, ist es immer noch jedes Mal wie ein kleines Wunder: Innerhalb weniger Wochen werden aus süßen, aber aromatisch meist unspektakulären Trauben Jungweine mit einer faszinierenden Geschmacksvielfalt. Der Großteil davon ist zwar auch schon im Most vorhanden, aber weil die Aromen dort an Zucker gebunden sind, können wir sie nicht wahrnehmen. Erst wenn die Gärung Alkohol aus dem Zucker macht, werden sie freigesetzt und riechbar.
Sturm und Drang
Während der Gärung bestimmt die Hefe den Duft. Ihren charakteristischen, an Brotteig erinnernden Geruch kennt jeder, der schon einmal Sturm getrunken hat. Nur sehr verhalten merkt man dahinter den Wandel vom Most zum Wein. Erst gegen Ende der Gärung tritt das Aroma des Weines langsam in den Vordergrund. Die Hefezellen sinken im Fass zu Boden, und so wie der junge Wein selbst wird auch sein Bukett allmählich klarer. Diese Wochen sind im Keller die spannendsten des ganzen Jahres.
Tägliche Veränderung
Von Tag zu Tag erinnert der Jungwein ein bisschen mehr an das, was Monate, teilweise Jahre später in Flaschen gefüllt wird. Damit uns nichts entgeht, verkosten wir den neuen Jahrgang in den ersten Wochen beinahe täglich und schärfen so unsere Sinne für die Wahrnehmung selbst kleinster Veränderungen.
Wenn die Trauben schön waren und im Keller vom Pressen bis zur Gärung keine Fehler passiert sind, geht auch nachher meist alles gut. Das tägliche Verkosten ist in diesen Fällen vor allem ein wohlwollendes Beobachten.
Frühzeitig und sanft reagieren
Manchmal aber entwickelt sich ein Wein nicht ganz so, wie erwartet. Die Gärung verlangsamt sich früher, als sie sollte. Das Aroma wirkt innerhalb von wenigen Tagen verschlossen, statt aufzublühen. Der Wein am Gaumen rauh oder müde.
Bemerkt man solche Veränderungen rechtzeitig, genügt fast immer eine Kleinigkeit, um ihn wieder auf die richtige Spur zu bringen. Das Umziehen in einen wärmeren oder kälteren Teil des Kellers. Das Entfernen der Hefe ein paar Tage früher, als eigentlich geplant. Oder das Umfüllen des Weines in einen anderen Behälter, damit er mit ein bisschen Luft wieder aufatmen kann.
Den Rest übernimmt dann normalerweise die Reife, denn mit jeder Woche werden die jungen Weine stabiler. Schon im November ist der Zeitpunkt der Arbeiten im Keller keine Frage von Stunden oder Tagen mehr, sondern eher eine von Wochen. Dementsprechend größer werden dann die Abstände, in denen wir die Weine verkosten.
Foto: Armin Bardel