Der Begriff der Nachhaltigkeit durchdringt nach und nach alle Lebensbereiche, und natürlich kann sich auch die Weinwirtschaft dieser Entwicklung nicht entziehen. Das ist grundsätzlich positiv, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, vom Versuch einer Definition bis zur konkreten Umsetzung, wie z.B. auch das Lexikon der Nachhaltigkeit hier schreibt:
Der Gedanke der Nachhaltigkeit (sustainability) ist seit vielen Jahren ein Leitbild für politisches, wirtschaftliches und ökologisches Handeln. Seit den Anfängen wurden zahlreiche Definitionsversuche vorgenommen, die im Kern jedoch oft sehr ähnlich sind. Eine der meist gebrauchten Definitionen des Nachhaltigkeitsbegriffes ist die Definition des Brundtland-Berichtes der Vereinten Nationen von 1987. In dieser heißt es…frei übersetzt…: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die gewährt, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen als gegenwärtig lebende.“ (Hauff 1987, S.46). Nachhaltigkeit wird laut dieser Definition als eine Art Entwicklung beschrieben, die sowohl auf die Gegenwart als auch die Zukunft ausgerichtet ist. Allerdings bietet diese Definition auch oft Material für Diskussionen, da sie Raum für unterschiedliche Interpretationen bietet. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass mittlerweile zahlreiche Begriffsdefinitionen kursieren.
Jenseits aller Definitionen und Gütesiegel verstehen die meisten Menschen unter nachhaltiger Produktion wohl eine, die auf einen sparsamen Verbrauch von Ressourcen achtet und möglichst schonend mit der Umwelt umgeht. Daraus erklärt sich auch das Problem mancher Bioverbände und -produzenten mit diesem neuen Trendbegriff. Haben sie doch über Jahrzehnte und gegen große Widerstände das verloren gegangene Bewusstsein für die Natur wieder zurück in die Landwirtschaft gebracht und befürchten nun, dass der neue, wesentlich schwammigere Begriff der „Nachhaltigkeit“ ihrer mühsam aufgebauten und extrem positiv besetzten Monopolmarke „Bio“ den Rang abläuft.
Bio vs. Nachhaltigkeit
Ganz unbegründet ist diese Sorge (und die damit gelegentlich verbundene feindselige Verärgerung mancher Bio-Produzenten) natürlich nicht. Zu oft werden Produkte als nachhaltig angepriesen, obwohl sich ihre Herstellung nur in winzigen (aber im Marketing umso stärker herausgehobenen) Details vom wenig nachhaltigen Schema F unterscheidet. Jedem Nicht-Bio-Betrieb aber automatisch „Greenwashing“ zu unterstellen, der für sich in Anspruch nimmt, nachhaltig zu produzieren, ist trotzdem nicht angebracht. Betrachtet man nämlich beide Begriffe genauer, sieht man, dass sie weniger miteinander zu tun haben, als man meinen könnte und ein Konkurrenzdenken eigentlich fehl am Platz ist.
Die Richtlinien für den Bio-Weinbau beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, dem Verzicht auf synthetische Pflanzenschutz- und Düngemittel und der Förderung der Artenvielfalt im Weingarten. Für die Bio-Weinproduktion sind vor allem verschiedene Verarbeitungstechniken, Weinbehandlungsmittel und -zusatzstoffe definiert bzw. verboten.
All das zielt natürlich auf einen schonenden Umgang mit der Natur, umfasst jedoch nur einen (wenn auch großen) Teilbereich der Ökobilanz eines Weinbaubetriebes. Wahrscheinlich wurde „bio“ so definiert, weil es bei diesen Themen die größten Missstände, den größten Verbesserungsbedarf gab, als die biologische Wirtschaftsweise vor Jahrzehnten „erfunden“ wurde. Für eine nachhaltige Wirtschaftsweise ebenfalls wichtige Themen wie der Energie- und Wasserverbrauch, der CO2-Ausstoß, die Bodenbelastung durch schwere Traktoren, die Wiederverwertung von Flaschen, etc. wurden damals nicht berücksichtigt und sind bis heute nicht Teil der Bio-Zertifizierung.
Natürlich können Bio-Betriebe auch in diesen Bereichen Akzente setzen, und die meisten tun das auch. Den Bio-Kollegen, die ich kenne, ist die Natur ein größeres Anliegen, als das Bio-Siegel auf ihren Etiketten und sie handeln aus ehrlicher Überzeugung. Vereinzelt findet man jedoch auch – völlig legale – wenig nachhaltige Vorgangsweisen in der Bio-Branche. Die mit dem Flugzeug importierten Bio-Erdbeeren aus Übersee. Den Naturwein in der überschweren Angeberflasche mit einer CO2-Bilanz jenseits von gut und böse.
Auf der anderen Seite gibt es selbstverständlich vergleichsweise industriell hergestellte Weine, deren Produktion als nachhaltig präsentiert wird. Allerdings eben auch Nicht-Bio-Weinbauern, die auf ihre Umwelt achten und mit Fug und Recht den Begriff der Nachhaltigkeit für sich verwenden.
Die meisten diesbezüglichen Fragen sind nämlich gar nicht so einfach zu beantworten. Weil das Handeln des Menschen immer eine Auswirkung auf die Natur hat, geht es oft mehr um eine Abwägung verschiedener Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen. Braucht es weniger Energie, gebrauchte Flaschen zum Produzenten zurückzutransportieren und mit großem Aufwand zu waschen, oder ist es besser Neuglas zu verwenden mit hohem Strom- und Gasverbrauch bei der Herstellung? Ist ein mechanisch tot gearbeiteter Boden wirklich besser, als einer, der mit Herbiziden bewuchsfrei gehalten wird? Und welche Herausforderungen bringt es mit sich, beides zu vermeiden und den Boden zu begrünen? Der Teufel steckt in den Details, und davon gibt es auf dem Weg vom Austrieb über die Traube bis zur abgefüllten Flasche ziemlich viele.
Nachhaltig Austria
Dem internationalen Trend zur Nachhaltigkeit folgend, hat sich der österreichische Weinbauverband vor ein paar Jahren daran gemacht, eine Art Bewertungssystem für viele dieser Aspekte zu entwickeln und daraus eine Nachhaltigkeits-Zertifizierung für Weinbaubetriebe abzuleiten. Vieles daran kann man zu Recht diskutieren, und vieles davon wird auch (nicht nur aber vor allem von Bio-Vertretern) heftig kritisiert. Ist es sinnvoll bzw. glaubwürdig, wenn die eigene Branche die Kritierien definiert (deren Einhaltung freilich von unabhängigen Zertifizierungsfirmen kontrolliert wird)? Kann ein vergleichsweise einfaches und niederschwelliges Online-Tool die Koplexität des Themas auch nur annähernd abbilden? Wie gehen Nachhaltigkeit und die Möglichkeit eines (nicht grundsätzlich verbotenen, nur eingeschränkten) Herzbizideinsatzes zusammen?
Weil mich das Thema interessiert und ich bei aller Skepsis die Herangehensweise spannend fand, habe ich schon damals mit dem Tool (anonym und ohne Absicht der Zertifizierung) experimentiert. Und ziemlich schnell entnervt und mit vergrößerter Skepsis wieder aufgegeben. Zu vereinfachend schien mir das dahinterliegende Bewertungssystem und vor allem zu wenig unsere (vermeintlichen und/oder echten) Nachhaltigkeitsbestrebungen abbildend.
In Ruhe gelassen hat mich das Thema aber trotzdem nicht, und die Idee, unser Bemühen um eine naturverträgliche Betriebsführung nicht nur mit schönen Worten zu beschreiben, sondern auch zu dokumentieren. Ich habe mich mit zertifizierten Kollegen unterhalten, mir das System ein zweites Mal, und diesmal genauer angeschaut und Ende 2017 erneut einen (diesmal ernsthafteren) Anlauf unternommen, der Anfang 2018 einen positiven Abschluss fand. Seit damals dürfen wir das Siegel „Zertifiziert nachhaltig Austria“ führen, und bei allen (gar nicht so wenigen) berechtigten Kritikpunkten im Detail halte ich die Kriterien dafür und deren Bewertungsprozess für eine spannende und lohnende Sache.
Natürlich können Regeln immer noch strenger sein, und natürlich ist es ein schwieriger Spagat, einen niederschwelligen Zugang zum System und die Ermunterung für möglichst viele, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen auf der einen Seite mit wirksamen, ernsthaften Bewertungen auf der anderen Seite zu verbinden. In den Grundzügen ist das aber meiner Meinung nach gar nicht so schlecht gelungen.
Die Beurteilung, ob und wie sehr ein Betrieb nachhaltig arbeitet, betrifft die neun Bereiche Biodiversität, Bodengesundheit, Wasser-, Energie- und Materialverbrauch, Klima, Ökonomie, Soziales und Weinqualität. Für jeden dieser Bereiche wurden auf wissenschaftlicher Basis Schlüsselfaktoren definiert, die von den Weinbauern in einem Online-Portal für ihren Betrieb eingegeben werden müssen.
Also z.B. die Anzahl der Durchfahrten durch den Weingarten mit dem Traktor pro Jahr. Die Art und Qualität des Pflanzenschutzgerätes und die Anzahl der Spritzungen. Die Art der Bodenbearbeitung bzw. der Begrünung. Bewusst ungenutzte Biodiversitätsflächen im Betrieb, Böschungen und Bäume im Weingarten. Die Art der Lese. Die Bauweise der Gebäude. Den Energieverbrauch im Betrieb und die Nachhaltigkeit dieser Energie. Das Gewicht der verwendeten Neuflaschen und die Wiederverwendung von Flaschen. Die Entsorgung von Abwässern und Müll. Die ordnungsgemäße Anmeldung und Bezahlung von Mitarbeitern und deren Aus- und Weiterbildung. Die Arbeitssicherheit im Betrieb. Die Risikovorsorge des Betriebes. Die Beachtung von Nachhaltigkeitskriterien beim Einkauf von Waren und Dienstleistungen. Die Verkaufsaktivitäten für eine ökonomische Nachhaltigkeit des Betriebes. Und, und, und.
Insgesamt sind es mehr als 250 Eingaben, und das besondere am System ist, dass die allermeisten dieser Eingaben keine Schwarz-Weiß-Folgen haben. Stattdessen werden sie im Rechenprozess gewichtet, um zu versuchen ihren koplexen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Um ein ganz plakatives Beispiel zu bringen: Die Eingabe von null Pflanzenschutzbehandlungen bringt wohl ein großes Plus bei der Biodiversität und der Bodenbelastung und wohl auch ein kleines beim Energie- und Materialverbrauch. Gleichzeitig aber natürlich ein dickes Minus bei der Weinqualität, ohne die ein Betrieb heutzutage auch nicht nachhaltig geführt werden kann, und die in den allermeisten Fällen nicht ohne Pflanzenschutz zu erzielen ist. Oder weniger simpel: Neuglas bringt einen Malus beim Energiebedarf, wiederverwertete Flaschen dafür einen beim Wasserverbrauch.
Alle diese Angaben müssen vom Betrieb auch belegt werden können (was stichprobenweise jedes Jahr und alle drei Jahre verpflichtend von einer unabhängigen Prüfstelle kontrolliert wird) und führen am Ende zu einer Bewertung in Form eines Spinnendiagramms.
Wie durch die Ampelfarben symbolisiert, ist die Bewertung in den verschiedenen Bereichen umso besser, je weiter außen die Punkte liegen. Damit wird diese Form des Diagramms auch halbwegs der Komplexität des Themas gerecht, denn wenn man mit einzelnen Eingaben experimentiert, kann man am Diagramm recht schön erkennen, wie durch eine veränderte Einzelmaßnahme z.B. der Punkt beim Wasserverbrauch nach außen wandert (also nachhaltiger, besser wird), dafür aber z.B. jener beim Energiebedarf nach innen.
Für eine positive Zertifizierung dürfen höchstens zwei Teilbereiche in der gelben Zone liegen, was gemeinsam mit der laufenden Adaption des Systems die Betriebe jedes Jahr zu einer Überprüfung und Verbesserung ihrer Nachhaltigkeitsmaßnahmen animiert (oder auch zwingt). Außerdem steht die Bewertung natürlich auch Bio-Betrieben offen (und wird von einzelnen auch genutzt), die ihren Betrieb auch jenseits der „klassischen“ Bio-Themen beurteilen (lassen) möchten.
Da wir uns schon sehr lang Gedanken über die Nachhaltigkeit unseres Tuns machen, hat die Zertifizierung unseres Betriebes ohne konkrete Umstellungen auf Anhieb geklappt. Weil ich aber für die Bewertung gezwungen bin, mich ganz konkret und schriftlich mit den verschiedensten Teilbereichen des Themas in unserem betrieblichen Alltag auseinanderzusetzen, beschäftige ich mich jetzt noch viel mehr damit, als früher. Für mich ist das der größte Nutzen der Zertifizierung, wesentlich größer als der Werbewert des Siegels, den wir bei der überwiegenden Direktvermarktung gar nicht brauchen, weil wir dem Kunden unsere Arbeit auch ohne gut vermitteln können.
In diesem Sinne werde ich in nächster Zeit hier im Blog immer wieder einzelne ganz konkrete Aspekte unserer Nachhaltigkeitsbemühungen vorstellen. Kleine und große, solche die für die Zertifizierung relevant sind, aber auch solche, die dort keine Berücksichtigung finden. Alle Beiträge dieser Serie sind hier in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ zu finden.
Hallo Bernhard,
interessanter Artikel. Auch wenn ich ganz überwiegend Weine von biozertifizierten Betrieben kaufe, (bei den 21ern Weinen aus Deutschland werden es nur zertifizierte sein) möchte ich da nicht unbedingt ein Dogma daraus machen. Insofern freue ich mich über Winzer wie dich, die zwar (leider) nicht gänzlich Bio arbeiten, sich aber durchaus ernsthaft und intensiv mit der Thematik auseinander setzen. Auf deine weiteren Ausführungen zu dem Thema bin ich gespannt.
viele Grüße
Werner
Lieber Bernhard,
Herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Zertifizierung und Danke für die Mühe, die Du ja vermutlich auch im Interesse kommender Generationen auf Dich nimmst. Ich finde diese Initiative sehr gut, denn wenn wir den Planeten wirklich bewohnbar halten wollen, müssen wir umdenken. ‚Bio‘ muss immer auch maximal nachhaltig sein. Dass es im Weinbau eine erheblich nachhaltigere Variante als ‚Bio‘ gibt, (‚Bio nach den Regeln von 2013/vor Verbot der phosphorigen Säure‘) ist für mich ein Ärgernis. Statt der Nachhaltigkeitsbewegung Greenwashing nachzusagen, sollten die Bio-Verbände lieber endlich dieses Problem lösen. Liegt seit 9 Jahren brach. Ich glaube Nachhaltig Austria erzeugt da ganz positiven Druck auf die EU-Kommission und die südeuropäischen Bremsklötze, wenn es um die Reform des Bio-Gedankens geht.
Lieber Bernhard,
Herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Zertifizierung und Danke für die Mühe, die Du ja vermutlich auch im Interesse kommender Generationen auf Dich nimmst. ich finde diese Initiative sehr gut, denn wenn wir den Planeten wirklich bewohnbar halten wollen, müssen wir umdenken. ‚Bio‘ muss immer auch maximal nachhaltig sein. Bio-Flugobst und Bio-Sahara-Kartoffeln bringen es eigentlich ganz gut auf den Punkt: Bio 2022 heißt Boden vor Klima, Anti-Synthetik vor CO2. Das war mal richtig, ist es aber nicht mehr.
Dass es im Weinbau eine erheblich nachhaltigere Variante als ‚Bio‘ gibt, (‚Bio nach den Regeln von 2013/vor Verbot der phosphorigen Säure‘, Anmerkung für Deine Leser, Dir ist das eh bekannt) ist für mich ein großes Ärgernis. Statt der Nachhaltigkeitsbewegung Greenwashing nachzusagen, sollten die Bio-Verbände lieber endlich dieses Problem lösen. Liegt seit 9 Jahren brach. Ich glaube Nachhaltig Austria erzeugt da ganz positiven Druck auf die EU-Kommission und die südeuropäischen Bremsklötze, wenn es um die Reform des Bio-Gedankens geht.
Danke Werner, danke Felix!
Offenbar ist der Spam-Filter seit dem Update des Blogs recht streng eingestellt, deshalb sind eure Kommentare nicht gleich erschienen.
Sorry
Bernhard