Während unsere Beerenauslese bereits zart vor sich hin blubbert, hat der treue Leser und Kommentator Wendelin hier die interessante Frage aufgeworfen, ob der Pilzrasen auf den Beerenschalen nicht den Geschmack negativ beeinflußt. Und weil wohl die wenigsten um die Besonderheiten der Verarbeitung solcher Trauben wissen, ist meine Antwort gleich ein ganzer Beitrag geworden:
Edle Fäule und ordinärer Schimmel
Der Pilzrasen auf den Trauben von Prädikatsweinen wird zwangsläufig mitverarbeitet und beeinflußt natürlich den Geschmack von Beerenauslese und Co.
Honigaromen, Dörrobst, aber auch verschiedene würzige Noten (Lebkuchen, aber auch Kümmel, Pumpernickel und andere), die für Botrytis-Süßweine typisch sind, stammen einerseits vom Schrumpfungsprozess der Beeren und den damit verbundenen Veränderungen der traubeneigenen Aromastoffe, andererseits aber eben auch vom Botrytispilz selbst.
Solange die Botrytis „sauber“ ist, wird das als durchaus angenehm oder zumindest zur (Zucker- und Aroma-)Konzentration der Weine passend empfunden. Nimmt der Pilzrasen allerdings überhand (sodass man vor lauter grauem Schimmel kaum noch die darunterliegende Beere erkennen kann), erinnern die Weine eher an Champignons oder schmecken wirklich verschimmelt.
Dazu kommt es meist, wenn es zu lange feucht(-warm) ist, und der Pilz unkontrolliert wuchern kann, anstatt unter kühleren und (nach der Infektion) trockenen Bedingungen ein relativ karges Dasein zu fristen. Nicht selten machen sich dann auch verschiedene andere Schimmelarten (z.B. der Gattung Penicillium) auf den Trauben breit, die auch im besten Fall nichts Edles an sich haben.
Neben einem unangenehmen Geschmack verleiht üppiges und vielfältiges Schimmelwachstum den Weinen auch einen überdurchschnittlichen Gehalt von Essigsäure und anderen wertmindernden (und teilweise unbekömmlichen) Inhaltsstoffen, die wiederum höhere SO2-Dosen notwendig machen. Weil Konzentration und Süße in den Prädikatsweinen sehr viel davon zu maskieren im Stande sind, fällt das aber selbst Profis nicht immer auf (wie die meiner Meinung nach im Vergleich zu trockenen Weinen mitunter deutlich unkritischere Beurteilung von Hochprädikaten zeigt).
Vom häßlichen Entlein zum stolzen Schwan
Auch wenn es also für Laien beim Betrachten von edelfaulen Trauben wohl kaum vorstellbar ist, kommt es bei Botrytisweinen mindestens so sehr auf die Qualität der Trauben an (wenn auch nach anderen Kriterien) wie bei „normalen“ Weißen oder Roten. Nicht zuletzt, weil die Botrytis in den Weinen zumindest bis zur Endphase der Gärung unmittelbar präsent ist.
Edelfaule Beeren haben eine vom Pilz sehr stark aufgeweichte Schale. Das läßt nicht nur Wasser verdunsten und den Zuckergehalt steigen, sondern führt auch dazu, dass die Schale mitsamt dem anhaftenden Pilzrasen bei der kleinsten Belastung in unzählige winzige Teilchen zerfällt.
Deshalb sind Prädikatsmoste wesentlich reicher an Trubstoffen und sehen nicht besonders appetitlich aus: Dunkelbraun bis beinahe schwarz mit undurchdringlich vielen Schwebeteilchen darin. Und weil die Moste so dickflüssig sind, sinken diese Trubstoffe auch nicht zu Boden und lassen ein herkömmliches Entschleimen kaum zu.
Bei sauberer Botrytis ist das aber nicht weiter tragisch, denn während und nach der Gärung wandelt sich das häßliche Entlein in den meisten Fällen von allein zu einem stolzen Schwan. Die reduktive Wirkung der Hefe hellt die Farbe auf und die abnehmende Dichte (aus sirupartigem Most wird weniger süßer, alkoholischer Wein) läßt nach Gärende die feinen Trubteilchen gemeinsam mit den Hefezellen zu Boden sinken.
Zum Vorschein kommt in den meisten Fällen ein goldgelber bis bernsteinfarbiger Wein, bei dem die Botrytis – siehe oben – nur einen kleinen Teil zur aromatischen Komplexität beiträgt.