Vergangenen Sonntag hatte ich wieder einmal ein wirklich großes Weinerlebnis. Aus einer spontanen Laune heraus habe ich in meinen Weinschätzen gekramt und dabei eine Flasche zu Tage gefördert, die aus meinem Praktikum im Weingut Prager bei Toni Bodenstein im Jahr 1992 stammt.
Die damaligen vier Wochen zählen zum ergiebigsten Teil meiner Schulzeit an der Weinbauschule Klosterneuburg. Neben sehr vielen fachlichen Erkenntnissen haben sie mir auch einige tolle Weinproben vor Ort und ein paar edle Flaschen wie diese für meinen Keller beschert:
Riesling Smaragd 1991, Weissenkirchner Steinriegl
Weingut Prager, Wachau
Natürlich könnte ich darüber schreiben, wie verblüffend jugendlich, elegant und ausgewogen sich der Wein präsentiert hat. Wie unglaublich komplex der Mix von Frucht, Würze und Reifearomen war. Und wie einem der Wein trotz aller Größe geradezu unspektakulär über die Lippen ging.
Aber auch wenn ich mich wirklich bemühen würde: Nichts davon könnte dem Wein und dem Erlebnis gerecht werden. Jeder Versuch, ihn in Worte oder gar Punkte fassen wäre kleinlich und peinlich.
Deshalb lasse ich es lieber bleiben und mache mir stattdessen Gedanken darüber, was sich in den vergangenen 16 Jahren verändert hat. Und warum die meisten Spitzen(weiß)weine heute 13, 14 oder gar 15 Prozent Alkohol haben (müssen), wo dieser Wein doch zeigt, dass schon 12,2 Prozent ausreichend sein können.
Ist der Klimawandel schuld?
Vielleicht ein bißchen. Höhere Temperaturen führen in der Tat zu einer Beschleunigung der Zuckerreife, ohne die für den Lesetermin wichtigere physiologische Reife zu beeinflußen. Anders gesagt: Grundsätzlich kann es schon passieren, dass man die Trauben nicht (mehr) bei niedrigeren Zuckergehalten (und damit späteren Alkoholwerten) ernten kann, weil die Aromastoffe in den Trauben in diesem Stadium noch nicht reif genug sind.
Wobei aber kaum ein Gebiet einen derart großen Spielraum hat, wie die Wachau mit ihrer späten (=kühlen) Reifephase und ihren niedrigen Nachttemperaturen. Wer normalerweise im November seine Spitzenweine erntet, dessen Trauben müßten meiner bescheidenen Meinung nach auch schon im Oktober physiologisch reif sein. Und wer ein klein wenig früher erntet, der hat auch weniger Probleme mit (zuckererhöhender) Botrytis-Edelfäule.
Ist es das Qualitätsstreben der Winzer?
Qualitätssteigernde Maßnahmen im Weingarten können einen höheren Alkoholgehalt als (Neben)Wirkung haben. Niedrigere Erträge führen zweifellos zu ausdrucksstärkeren Weinen, sie verfrühen aber auch die (Zucker)reife, weil der Rebstock den in den Blättern gebildeten Zucker auf weniger Trauben aufteilen muß.
Ähnliches gilt auch für die Bewässerung (die aber in der Wachau bereits Anfang der 90er weit verbreitet war), für eine intensivere Laubarbeit und qualitätsfördernde Erziehungssysteme. Trotzdem sind (extrem) hohe Alkoholwerte aber auch für qualitätsbewußte Winzer kein unvermeidbares Schicksal.
Wollen es die Weinkonsumenten so?
Vielleicht einige wenige. Den meisten ist es aber wohl egal. Oder es wäre ihnen sogar ein niedrigerer Alkoholgehalt lieber, weil sie die Weine auch tatsächlich trinken (und sie nicht nur lagern, verkosten oder sich mit ihnen brüsten). Oder?
Hat es was mit Gruppendynamik und -zwang zu tun?
Wahrscheinlich auch. Sowohl bei den Winzern als auch bei den Weintrinkern. Als Freund etwas leichterer Weine gilt man schnell als anspruchsloser Mainstream-Trinker, der echte Qualität nicht zu schätzen weiß.
Und welche Rolle spielen die Meinungsmacher?
Weine mit höheren Alkoholgehalten schmecken intensiver. Bei umfangreicheren gaumenermüdenden Weinproben stechen sie deshalb oft positiv hervor, während leichtere Weine schnell als „gut, aber etwas zu schlank“ durch den Rost fallen. Jener Verkoster, dem das noch nicht selbst passiert ist, der nehme den ersten Stein…
Weil dieses Phänomen bei allen Weinbewertungen eine gewisse unvermeidbare Rolle spielt, haben kräftigere Weine meist bessere Chancen auf einen Spitzenplatz. Und Siegerweine sind gut für die Brieftasche und das Ego des Produzenten…
Hallo Bernhard,
speziell in der Wachau hat wohl auch das – meiner Meinung nach problematische – Kategoriensystem von Steinfeder, Federspiel und Smaragd Schuld an der Situation, da die Einstufung ja ausschließlich nach Alkoholgehalt vorgenommen wird. Wenn dann dem Weintrinker kommuniziert wird, dass Smaragde die lagerfähigen Weine sind, während Federspiel und Steinfeder eher bald zu trinken wären, dann ist der Bezug zwischen Alkohol und Lagerfähigkeit bereits hergestellt. Fälschlicherweise, wie ich meine, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein oder zwei Vol.% mehr oder weniger – bei ansonsten gleichen Inhaltsstoffen – wesentlichen Einfluss auf die Enzymaktivitäten
haben, die für die Oxidation verantwortlich sind. Und die Esterbildung sollte bei höherem Alkohol sogar schneller stattfinden.
Im übrigen finde ich, dass ein sehr wichtiger Einflussfaktor auf die Lagerfähigkeit oft vergessen wird, nämlich die Qualität des Verschlusses (Kork, Schrauber oder was auch immer). Dass ein gut erhaltener Altwein seine Lagerfähigkeit nicht nur dem Wein selbst verdankt, sondern auch dem hochwertigen Kork. Die enormen Flaschenvarianzen bei Altweinen sind meiner Ansicht nach auch gar nicht anders zu erklären.
Grüße,
Gerald
Alle Punkte stimmen, wobei auch in Zeiten des Klimawandels ausbalancierte, hochwertige Smaragde möglich sind, bestes Beispiel werden die besten 07er aus Deutschland. Und dann würd ich auch den Jungweinkult dazuzählen, ein Wein, der bei der Erstvorstellung nicht überzeugt, hat später keine Chance mehr auf dem breiten Markt, so gut er auch sein mag. So vermisse ich seit einigen Jahren die feingliedrigen, balsamischen und immer kompletten Knolls aus den 90ern. Ganz wesentlich scheinen mir jedenfalls die „Meinungsmacher“. Und Knoll sen. war es, der einmal sinngemäß sagte, man müsse dem Publikumsgeschmack entgegenkommen, entgegen eigener Überzeugung. Schade.
91 war auch ein recht kühles Jahr mit verhältnismäßig hohen Säurewerten, bei einem 90ger hätte die Sache eine wenig anders ausgesehen, wobei er die jetzigen Alkoholspitzenwerte auch nicht erreicht hätte.