Das nachhaltigste Resultat meiner Fachausbildung ist ein überwiegend kritisches Verhältnis zu sehr vielen gängigen Lehrmeinungen in Sachen Weinbau und Kellerwirtschaft. Diese Skepsis beruht auf zwei eigentlich völlig gegensätzlichen Phänomenen, von denen die Fachliteratur nur so strotzt.
Entweder werden bestimmte Lehrsätze über Jahrzehnte unhinterfragt und ohne Berücksichtigung der sich ändernden Umstände immer und immer wieder abgeschrieben und wiederholt. Oder sie werden alle 20 oder 30 Jahre mehr oder weniger pauschal verdammt und durch völlig gegenteilige Empfehlungen ersetzt.
Ein schönes Beispiel für ersteres flatterte uns vor zwei Wochen in Form einer einschlägigen Publikation ins Haus.
In einem Artikel über den Rebschnitt wurden darin nämlich weitgehend unhinterfragt die gleichen Angaben zur Schnittlänge gemacht, die in den 1960er- und 70er-Jahren empfohlen wurden.
Würde man aber in einem zeitgemäß bewirtschafteten Weingarten tatsächlich so viele Augen (Knospen) pro Quadratmeter belassen, könnte man z.B. bei Blaufränkisch oder Zweigelt wohl 15.000 bis 20.000 kg Trauben pro Hektar ernten, was bis Ende der 1980er-Jahre zwar nicht qualitativ, sehrwohl aber wirtschaftlich durchaus sinnvoll sein konnte.
Heutzutage käme man damit aber nicht nur mit dem gesetzlichen Hektarhöchstertrag für Qualitätswein von 9.000 kg (!) sondern auch mit den Ansprüchen der allermeisten Konsumenten in Konflikt. Und nachdem sich das Faßweinpreisniveau für Weine aus Massenerträgen derzeit bei 20 bis 40 Cent pro Liter bewegt, ließe sich auch über die Masse nicht wirklich Geld verdienen.
Lustig ist bei derartigen Angaben immer auch der Hinweis, beim Schneiden möglichst solche Triebe als Fruchtholz auszuwählen, die aus zweijährigem Holz entspringen. Die sind nämlich angeblich fruchtbarer und erbringen mehr und größere Trauben.
Von denen in vielen Fällen später mit enormem Arbeitsaufwand im Zuge des Ausdünnens die Hälfte oder gar zwei Drittel weggeschnitten werden (müssen), bevor die Reife einsetzt…
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