Heute ist wieder Weinrallye-Tag. Bereits zum 12. Mal sind alle deutschsprachigen Genussblogs eingeladen, sich mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen und heute darüber zu bloggen. Nach zahlreichen Etappen mit und ohne meine Beteiligung wurde diesmal das Thema wieder vom Weinrallye-Erfinder Thomas Lippert vorgegeben, der hier auch eine Zusammenfassung aller Beiträge veröffentlicht hat.
Seiner Vorstellung nach soll es darin um Weine gehen, die einen kirchlichen Background haben. Mir sind dazu nach der Veröffentlichung des Themas hier zwar schon spontan ein paar Gedanken gekommen, aber für einen Weinrallye-Beitrag erscheinen mir diese Geschichten doch etwa zu abwegig. (Auch wenn mir Thomas persönlich via Kommentar grünes Licht gegeben hätte.)
Schließlich soll bei der Weinrallye der Saft der Reben im Mittelpunkt stehen, und nicht die eine oder andere Geschichte drumherum. Um aber den kirchlichen Bezug des von mir für die Weinrallye ausgewählten Getränkes zu erklären, muß ich ein bißchen ausholen und einen kleinen kirchenhistorischen Exkurs wagen:
Protestantische Enklaven
Österreich gilt gemeinhin als „katholisches“ Land, und so ist es wenig verwunderlich, dass die evangelische Minderheitskirche mit ihren fünf Prozent der Bevölkerung manchem völlig verborgen bleibt. Im Burgenland ist der Anteil der Protestanten besonders groß, was unter anderem daran liegt, dass das heutige Burgenland zur ungarischen Reichshälfte der K.u.k-Doppelmonarchie gehörte.
Aber auch wenn in Ungarn die Gegenreformation nicht ganz so vehement betrieben wurde, wie im alten Österreich, konnten meine Vorfahren den Protestantismus über 100 Jahre lang nur im Geheimen zelebrieren, bis Joseph der Zweite den Evangelischen in seinem Toleranzpatent 1781 eingeschränkte Rechte zugestand.
Lokale historische Besonderheiten haben dazu geführt, dass einige große burgenländische Weinbaugemeinden bis heute mehrheitlich evangelisch, oder die Protestanten zumindest deutlich überrepräsentiert sind. Das trifft besonders auf Gols, Mörbisch, Lutzmannsburg und Rust zu.
Kinderoffenes Abendmahl
Die evangelische Kirche hat einige Besonderheiten, die sie doch deutlich von der katholischen (und anderen) unterscheidet. Sie stellt die Bibel stärker in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, was dazu führt, dass sie weniger an kirchlichen Traditionen festhält, sondern laufend versucht, die Bibel zeitgemäß zu interpretieren.
Um die 2000 Jahre alten „Prinzipien“ der Bibel in der heutigen Zeit sinngemäß anwenden zu können, braucht es nicht nur eine fundierte theologische und historische Aufbereitung, sondern auch einen breiten Konsens in der Kirchengemeinde. Deshalb sind die entsprechenden Diskussionsprozesse demokratisch organisiert und die Entscheidungen in Grundsatzfragen werden von gewählten Theologen und Laien getroffen.
Im Jahr 2005 haben sich diese Gremien der Evangelischen Kirche in Österreich nach Abwägen aller Für und Wider dazu entschlossen, das Abendmahl künftig „kinderoffen“, d.h. nicht nur unter Erwachsenen zu feiern.
Abgesehen von der theologischen Uminterpretation dieses Sakramentes bedeutet das, ganz praktisch gesehen, das Ende des Weines in der evangelischen Kirchenliturgie, dessen Rolle aber ohnehin nie mit dem katholischen Messwein zu vergleichen war.
Weder gab es für den protestantischen Abendmahlswein besondere (Produktions-)Vorschriften, noch blieb er exklusiv dem Pfarrer vorbehalten und anders als die katholische Theologie, die im Abendmahl den Wein tatsächlich in das Blut Christi verwandelt sieht, symbolisiert er in der evangelischen Kirche lediglich die Verbundenheit mit Jesus (wenn ich das alles richtig verstanden habe).
Weil es also bei uns Protestanten beim Abendmahl für alle einen Schluck zu trinken gibt, sind wir vor allem wegen der Kinder 2005 überwiegend auf den Traubensaft ausgewichen, der in der Lage ist, die theologische Symbolik alkoholfrei zu transportieren.
Im Vergleich zum Wein führt der unvergorene Traubensaft aber ein echtes Schattendasein. Sieht man von Weingegenden ab, existiert er weder in der Gastronomie, noch im Handel, wenn man von diversen Mischsäften mit Traubenanteil absieht. Und auch von den meisten Winzern (mich eingeschlossen), die Traubensaft als Ergänzung ihrer Palette anbieten, wird er nur sehr stiefmütterlich behandelt.
Während manche Firmen längst sortenreien Apfelsäfte in klaren und naturtrüben Versionen auf dem Markt werfen, gibt es beim Traubensaft im besten Fall weiß oder rot. Woran liegt das?
Sehr guten Traubensaft zu machen ist nicht einfach
Weintrauben sind im Vergleich zu Äpfeln oder Orangen sehr empfindliche Früchte. Das erschwert nich nur die Manipulation bei der Saftherstellung, sondern führt auch dazu, dass sich nur einwandfreie Trauben zu gutem Saft verarbeiten lassen. Während im Apfel und Orangensaft selbstverständlich auch jene Früchte stecken, die wegen kleinerer (Schönheits-)Mängel nicht zum Tafelobst taugen, wird aus Trauben zweiter oder dritter Wahl nur schwer ein einwandfreier Saft.
Wahrscheinlich ist es sogar leichter, aus mäßigem Traubenmaterial braven Wein als brauchbaren Traubensaft zu machen. Traubensaft ist wegen seines (im Vergleich zu anderen Fruchtsäften) relativ hohen pH-Wertes nämlich deutlich anfälliger für Oxidation und Mikroorganismen und die Gärung samt dem entstehenden Alkohol bietet dagegen einen gewissen natürlichen Schutz.
Die meisten Traubensorten erreichen ihre aromatische Reife erst bei einem relativ hohen Zuckergehalt. Das führt dazu, dass sehr viele Säfte für den (unverdünnten) alltäglichen Konsum viel zu süß schmecken, weil ihr Hersteller die Aromareife abgewartet hat. Oder dass sich ihr Zuckergehalt dank früher Ernte zwar in verträglichen Grenzen hält, dafür aber die Aromatik sehr unterentwickelt ist.
Darüber hinaus heißen Weintrauben aus gutem Grund WEINtrauben. Viele ihrer Aromastoffe sind nämlich an Zucker gebunden und werden erst durch die Vergärung zu Wein schmeckbar, wenn die Hefe den Zucker abspaltet und zu Alkohol verarbeitet. Im unvergorenen Traubensaft bleibt uns der Großteil der aromatischen Vielfalt einfach verborgen.
Traubensaft ist vergleichsweise teuer
Die Herstellung von Traubensaft ist also relativ aufwändig und deshalb auch teuer. Anders als Äpfel und Orangen können die Tauben nicht maschinell geerntet werden, und wenn nicht gezielt Massenweinbau für die Saftproduktion betrieben wird, sind wohl auch die Hektarerträge zu klein, um mit der Saftkonkurrenz von anderen Früchten mithalten zu können.
Dazu kommt noch, dass der Weinbau in Europa sehr kleinstrukturiert (und deshalb teuer) ist, und dass man Trauben nicht so leicht wie Äpfel in Eisenbahnwaggons aus Ländern mit niedrigeren Produktionskosten herankarren kann.
Traubensaft ist keine „Marke“
Trotzdem gibt es Bestrebungen, die europäischen Weinüberschüsse durch eine vermehrte Produktion von Traubensaft abzubauen. Da diesbezügliche Aktionen aber sofort zum Erliegen kommen, wenn eine kleine Ernte den Weinpreis steigen läßt, fällt es den Fruchtsaftproduzenten schwer, Traubensaft intensiv zu bewerben und kontinuierlich auf dem Markt anzubieten.
Liturgische Ehren hin oder her, der Traubensaft wird also wohl auch künftig ein braves Nischenprodukt bleiben. Oder?
Danke für die lebendige Exkursion in die österreichische Kirchengeschichte und die Ausführungen zur Traubensaftproduktion, die sehr gut auf den Punkt gebracht sind! Herzliche Grüße, Lars.
Nur eine Frage: wie alt sind denn diese „Kinder“, die am Abendmal teilnehmen dürfen. In meiner (evangelischen) Jugend konnte man das erst nach der Konfirmation und die machte man mit 14 – also ein Schlückchen Wein sollte da doch wirklich möglich sein…
Zur Schwieirgkeit, guten Traubensaft zu machen, kann ich Dir allerdings voll zustimmen. Ich habe das zwar immer nur für den Hausgebrauch gemacht, aber auch gefunden, dass er hohe Qualität beim Lesegut voraussetzt, wenn er schmecken soll und sich bei reifen Trauben eigentlich nur in Verdünnung trinken lässt, da er sonst zu süß ist und so eine Art Zuckerschock verursacht, wie die früher üblichen Traubenzuckertabletten, die wir als Kinder bekamen.
Hallo Iris!
So weit ich weiß, gibt es beim kinderoffenen Abendmahl keinerlei Altersbeschränkung. In der Praxis geht es also schon mit dem Kindergartenalter los und da muß es (anders als bei den von dir angesprochenen 14-jährigen) wirklich kein Schluck Wein sein.
Einer der lange diskutierten Punkte vor der Einführung war tatsächlich die Frage, ob durch das kinderoffene Abendmahl nicht die Konfirmation entwertet wird, weil sie auch bei uns das Kriterium für die Zulassung zum Abendmahl war. Wenn ich mich recht erinnere finden sich dazu einige Argumente in meinem „Für-und-wider-Link“
Herzliche Grüße
Bernhard