Die Diagnose
Wie im ersten Teil dieser kleinen Serie beschrieben, sind die Pflanzenteile mit dem höchsten Wassergehalt am frostanfälligsten. Da es sich dabei zugleich meist auch um die Wachstumszonen handelt, haben Erfrierungen besonders schlimme Auswirkungen auf die Vegetation (zumindest) der bevorstehenden Saison.
Um als Weinbauer im Fall des Falles richtig reagieren zu können, ist eine gute Diagnose unerläßlich. Diese ist möglich, sobald das geschädigte Gewebe aufgetaut ist und sich seine Farbe dabei von grün auf graubraun verändert hat.
Die ersten Schäden findet man normalerweise in den Augen (Knospen) der einjährigen Rebtriebe. Dort ist in mikroskopisch kleiner Form der komplette Sommertrieb des nächsten Jahres samt Traubenansatz versteckt.
Halbiert man das Auge mit einem scharfen Messer, werden die Anlagen für den Haupt- und die Nebentriebe sichtbar. Letztere sind kleiner und deshalb besser vor Frost geschützt, treiben allerdings nicht immer aus, und wenn, dann meist später und mit weniger oder gar keinen Trauben.
Auf dem Foto läßt sich das Hauptauge vielleicht im größeren schwarzen Kreis erahnen, und ein Bei- bzw. Nebenauge im kleineren links davon. Die grünliche Stelle oberhalb der Kreise ist keine Triebanlage, sondern rührt von (m)einer falschen Schnittführung her.
Der zweite neuralgische Punkt bei strengem Frost ist das sogenannte Kambium. Dieses Gewebe sorgt für das Dickenwachstum der Triebe und liegt beim einjährigen Rebholz direkt unter der braunen Rindenschicht.
Schält man diese ab (wie auf dem Foto ganz oben), kann man sehen, ob das Kambium noch grün oder abgestorben ist.
Die dritte heikle Stelle ist die Markbrücke im Inneren der einjährigen Rebtriebe, das sogenannte Diaphragma. Bei jedem Auge ist dort bei europäischen Edelrebsorten das weiche Mark im Zentrum der Triebe durch ein festeres Gewebe unterbrochen (was man auf dem Foto trotz Markierung nur erahnen kann).
Dicke Triebe von besonders wuchskräftigen (z.B. jungen und/oder zu gut wasser- bzw. nährstoffversorgten) Rebstöcken weisen dabei einen höheren Markanteil und ein empfindlicheres Diaphragma auf, als normalwüchsige.
Finden sich bei einer Vor-Ort-Kontrolle nicht nur einzelne erfrorene Augen, sondern auch Schäden an Kambium und Markbrücke kann es hilfreich (aber relativ aufwendig) sein, Triebe mit nach Hause zu nehmen und in feucht-warmer Umgebung zum Austreiben zu bringen.
Mit einiger diesbezüglicher Erfahrung (die die allermeisten Weinbauern aber zu ihrem Glück nicht haben) lassen sich aus dem Keimverhalten genauere Rückschlüsse auf den Grad der Erfrierungen ziehen.
Schäden in den Leitungsbahnen des Rebstammes kann man aber auch damit nicht beurteilen. Diese treten zwar erst bei extrem niedrigen Temperaturen auf, wenn man obige Symptome zuhauf beobachten kann, sind aber besonders schlimm, weil sie nicht nur die nächste Ernte, sondern den Weinstock in seiner Existenz gefährden.
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