Nach meinen Überlegungen in Teil 3 muß ich davon ausgehen, dass in vergleichbaren Regionen die meisten Alkoholwerte jenseits von 13,5 Prozent entweder aus einer Aufbesserung bzw. Mostkonzentration (eher beim Rotwein), oder einer Mitverarbeitung von überreifen Botrytistrauben (nur beim Weißwein) resultieren.
Natürlich gibt es dabei (z.B. sorten- oder jahrgangsspezifische) Ausnahmen. Deshalb sind auch sicher nicht alle Angaben falsch, die diesbezüglich von den Vertretern meiner Zunft gemacht werden.
Ob und wie er in jenen Fällen, die nicht die Ausnahme darstellen das Thema Alkoholerhöhung kommuniziert, muß jeder Winzer selbst entscheiden. Ich persönlich finde es zwar ehrlicher, dazu zu stehen, aber es ist nicht meine Angelegenheit, wenn andere diese harmlosen, traditionellen Verfahren lieber verheimlichen.
Problematisch wird es allerdings für mich dann, wenn dieses Verhalten dazu führt, dass der hohe Alkoholgehalt von der Mehrzahl der privaten wie kommerziellen Weinfreaks für eine kaum vermeidbare Folge des Strebens nach Qualität gehalten wird.
Die Wahrheit ist nämlich eine ganz andere:
Prozente als Mittel zum Zweck
Hohe Alkoholwerte im Wein sind in sehr vielen Fällen kein (mehr oder weniger unerwünschter) Nebeneffekt, sondern ein von zahlreichen Produzenten bewußt eingesetztes Stilmittel.
Alkohol wirkt (innerhalb eines gewissen Rahmens) im Wein süßlich, und gemeinsam mit Glycerin (dessen Menge als Nebenprodukt der Gärung bei mehr Zucker genauso steigt) kann er Weine voller, weicher und vor allem mundfüllender machen.
Ähnlich wie Geschmacksverstärker in Lebensmitteln erschwert er auf diese Weise zwar die Wahrnehmung einzelner Aromen, erhöht aber gleichzeitig die Gesamtintensität des Weines am Gaumen.
Diese Eigenschaft kommt in Verkostungssituationen besonders zum Tragen, wenn die ermüdeten Geschmacksnerven kaum noch mit einem subtilen Aromenspiel zu beeindrucken sind.
Manche Kritiker des (nicht ausschließlich aber doch stark) von Alkohol getragenen Weinstils würden an dieser Stelle wohl laut über die „Parkerisierung“ lamentieren. Und darüber, wie sehr das amerikanisch-üppige Geschmacksbild von Robert Parker mittlerweile die Weinwelt prägt.
Mir ist diese Erklärung aber zu einfach, denn schließlich findet man bewußt alkoholstark ausgebaute Weine z.B. auch dort, wo ausschließlich für den österreichischen Inlandsmarkt produziert wird (auf dem Parker nicht wirklich eine Rolle spielt). Und diese Weine werden auch von Leuten gekauft, die den Namen Parker höchstens mit Kugelschreibern verbinden.
Allen Light-Tendenzen im Nahrungsmittelbereich zum Trotz bevorzugen viele Weinkonsumenten heutzutage offenbar fette, schwere Weine. Wäre ich polemisch, würde ich sagen, sie halten heute jene Art von Weißwein für das Nonplusultra, die vor 25 Jahren als altmodisch und überladen galt.
Natürlich wäre das ungerecht, weil das Qualitätsniveau 2010 wesentlich höher ist. Gewisse Parallelen zwischen den botrytisgeprägten, alkoholstarken und mehr oder weniger restsüßen Weißweinen der 1960er und 70er und manchen überreif-üppigen, nicht wirklich trockenen aktuellen Weinen liegen aber auf der Hand.
Wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist, läßt sich wohl nicht eindeutig klären. Am Anfang stand auf jeden Fall der Weinskandal von 1985, der vorwiegend kräftig schmeckende Weine betraf. Er bewirkte ein radikales Umdenken bei Produzenten und Konsumenten. In einer Überreaktion galten in der zweiten Hälfte der 1980er extrem leichte, dünne und säurereiche Weine als besonders hochwertig.
Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass es schon einer gewissen Traubenreife bedarf, um wirklich gute Qualitätsweine zu erzeugen. Die Alkoholwerte stiegen von extrem niedrigen auf moderate Werte an und der Säuregehalt der Weine wurde deutlich harmonischer.
Bald darauf hielten einige Gramm Restzucker wieder Einzug in manchen (legal) als trocken bezeichneten Wein, und seit Ende der 1990er schrauben viele Produzenten den Alkoholgehalt mancher Weine bewußt immer weiter hinauf.
Von den Weinmedien wurden sie dabei wohlwollend unterstützt, und weil bei den meisten Wettbewerben die alkoholreichsten Weine ziemlich weit vorne zu finden sind, begannen manche wohl Alkohol ein wenig mit Qualität zu assoziieren.
Diese Entwicklung (ver)führte dazu, dass immer mehr Winzer dem Trend zu üppigeren Weinen mit mehr Alkohol folgten. Und dass immer weniger Weine mit mittlerem Alkoholgehalt überhaupt noch zu derartigen Veranstaltungen eingereicht wurden.
Vor allem bei den Roten übernahmen viele Produzenten das Rezept ihrer Spitzenweine auch im Basissortiment und führten ein Upgrade der Alltagsweine auf 13,5 Prozent und mehr durch. Mit Erfolg, wie es scheint, denn es gibt keinerlei Anzeichen, dass diese Weine keine Käufer finden.
Möglicherweise tut sich Otto Normalverbraucher ja mittlerweile beim Wein ähnlich schwer, schlechte Qualität von guter, aber feingliedriger Qualität zu unterscheiden wie bei den Nahrungsmitteln und geht deshalb auf die geschmacksverstärkte Nummer sicher.
Nachdem (zum Glück) keine Zäsur wie 1985 in Sicht ist, wird sich das Weingeschmacksbild der Mehrheit wohl auch nicht so schnell ändern. Zumal die Versuche mancher Weinmedien, einen Trend zu weniger Alkohol herbeizuschreiben, nur eine winzig kleine Verbraucherschicht erreichen, und von den Verfassern offenbar selbst nicht immer ganz ernst genommen werden.
Zu diesem Eindruck kann man zumindest kommen, wenn man die diesbezüglichen Aussagen im Einleitungstext diverser Publikationen mit den (zumeist hohen) Bewertungen alkoholschwerer Weine vergleicht.
Um diese Diskrepanz irgendwie zu erklären, kommt Meinungsbildnern wie Winzern die bequeme Ausrede gerade recht, dass hohe Alkoholwerte, deren Opfer Winzer wie Weinkonsumenten sind, eine bedauerliche, aber leider unvermeidbare Folge von Qualitätsanstrengungen und Klimawandel darstellen.
Manche der Beteiligten wissen es vielleicht wirklich nicht besser. Bei einigen ist aber sicher auch ein gehöriges Maß Heuchelei mit im Spiel.
Sehr interessanter Bericht. Meine Erfahrungen sind ähnlich. Als Händler hat man es natürlich viel einfacher einen solchen alkoholreichen, runden, süß wirkenden Wein an die Kundschaft zu bringen. Alle wollen trocken draufstehen haben aber eine wenig Restsüße steht halt vielen Weinen gut. Wenns dann nicht mit mehr Zucker geht muss der Alkohol die Süße bringen.
Ich vermisse sie, die leichten Weine mit 11,5-12% die man einfach aufmachen kann um zu trinken und nicht um Seminare abzuhalten.
etwas später kommentar, aber ich bin erst vor kurzem auf deine seite gestossen.
dass die weine immer alkoholreicher werden ist wohl durch eines der größten abnehmerländer gefördert in den letzten jahren gefördert worden. natürlich ist der österreichische exportweinanteil in den usa vergleichsweise gering, aber auch wir bekommen die chilenischen, argentinischen, südafrikanischen und italienischen roten exportweine ab 13,5% in den supermarkt/weinhandel gestellt – und es schmeckt meist nicht schlecht zu einem erschwinglichen preis – das prägt hier in ö auch den ottonormalverbrauchergeschmack dem 12,5% dann einfach zu dünn sind. und wer von den masseabnehmern die im mittelpreisigen segment ihren wein suchen beschäftigt sich so intensiv mit dem thema weinentstehung, dass er den steigenden alkoholgehalt kritisch beäugt?
Ich hätte es gerne anders, z.B:
trist sieht die entwicklung in südtirol aus, da hat der gewürztraminer 14% und der lagrein 14,5%, schmeckt dicht und ding und frucht und alles, aber interessante aromen kommen selten bis an den gaumen. das hat eigentlich auch erst in den letzten jahrgängen begonnen, da hoffe ich auf eine baldige änderung, vielleicht kommt in den nächsten jahren ja wieder mehr mut zu weniger % auf (generell im weinbau). lg
Hallo Wendelin,
an die Theorie mit der Gewöhnung der Konsumenten an höhere Alkoholwerte wegen der importierten Roten mag ich ehrlich gesagt nicht wirklich glauben.
Und umgekehrt prägt es die heimischen Weine wohl kaum, dass wir ein paar Flaschen vorwiegend alkoholkräftiger Weine in die USA exportieren. Nach Deutschland exportieren wir dramatisch mehr Wein, und der Markt ist bei weitem nicht so von vorwiegend schweren Weinen geprägt…
Viele Grüße
Bernhard
hallo bernhard!
ich meine auch nicht, dass unser export in die usa geschmacksbestimmend sei, nur glaube (!) ich, dass umgekehrt eventuell winzer aus ö meinen (auf grund der importierten alkoholreichen weine) es sei der alkoholreiche wein der, der sich besser verkauft. kann gut sein, dass ich mich täusche, schließlich habe ich mich auch zu den exportzahlen richtung deutschland nicht informiert – bin nur genießer und kann im gegensatz zu den hier kommentierenden winzerkollegen nicht auf fachniveau mitreden 😉
abseits des artikels, vielen dank und großes lob für den winzerblog, ich habe bis jetzt keinen vergleichbar informativen und aktuellen gefunden.
liebe grüße, wendelin