…als 30 Jahre Berufserfahrung!
Blindproben sind eine spannende Sache. Sie ermöglichen eine unvoreingenommene Verkostung ohne Ablenkung durch das Etikett. Damit schärfen sie nicht nur die Sinne sondern lenken auch die Konzentration auf das Wesentliche der Verkostung, nämlich die Weinbeschreibung.
Zumindest theoretisch. In der Praxis schlägt bei Blindverkostungen meist der „Heiteres-Sortenraten-Reflex“ durch, der den logischen Ablauf einer fundierten Weinbeschreibung völlig auf den Kopf stellen kann. Dabei wird nicht der Wein möglichst unvoreingenommen beschrieben und anschließend überlegt, welche Sorte und welcher Jahrgang vielleicht eventuell so schmecken könnte.
Sondern es wird krampfhaft versucht, die Sorte zu erraten und anschließend nicht der Wein im Glas, sondern die vermeintlich oder tatsächlich erkannte Sorte mit ihren „typischen“ Eigenschaften zu Papier gebracht. Ganz egal wie der Wein im Glas eigentlich schmeckt.
Vom Kampf gegen die Erwartungshaltung…
Beim Griff zum Glas hat jeder Verkoster eine Erwartungshaltung, die bewußten und unbewußten Beeinflußungen unterliegt. Bei ungewöhnlichen Verkostungen oder besonders gemeinen Probenleitern führt das immer wieder zu lustigen Begebenheiten:
So loben zum Beispiel auch burgenland-vorurteilsbehaftete Verkoster pannonische Weißweine in den höchsten Tönen, wenn sie bei Blindverkostungen in einer (an ihrer schlanken Form leicht erkennbaren) Steiermark-Flasche daherkommen. Eher schlanke Weine aller Rebsorten werden flugs zu opulenten Burgundern, wenn es die Flaschenform suggeriert. Und auch geeichte Verkoster greifen oft zu tief in die Punkte-Kiste, wenn gegen Ende der Verkostung ein eher mäßiger Tropfen auftaucht. Schließlich kommen die besten und vor allem teuersten Weine immer zum Schluß. Da will man sich doch keine Blöße geben.
Ein besonderes Erlebnis dieser Art hatte ich vor einigen Jahren, als mich ein Winzer-Kollege nach einem Praxisaufenthalt in Down-Under zu einer Australienverkostung einlud. Die Einladung war mehr als vielversprechend, denn der beiliegenden Weinliste zu Folge sollte es inklusive Penfolds Grange alles aus Australien zu kosten geben, was Rang und Namen (und Preis) hat. Um ein gewisses Maß an Spannung aufrecht zu erhalten, gab die Liste aber keinerlei Aufschluß über die Verkostungsreihenfolge.
So diskutierten wir, etwa 12 durchaus erfahrene Verkoster, lang und breit über die Weine und vor allem natürlich deren Identität. Als einer der Anwesenden den dritten Weißwein als Chardonnay eines ganz bestimmten Weingutes aus Kalifornien identifizierte, wurde er von allen anderen, inklusive mir, kopfschüttelnd belächelt. „Der hätte die Einladung doch besser lesen sollen, dann würde er sich hier nicht so blamieren.“
Bei den letzten drei Roten gingen die Wogen schließlich hoch. Jeder war sicher, den Grange erkannt zu haben. Aber jeder bei einem anderen Wein! Als der Streit zu eskalieren drohte, schritt der Gastgebe ein. Er lüftete das Geheimnis:
Keiner der drei Weine war Penfolds Grange. Und kein einziger Wein des Abends kam aus Australien. Es waren durchwegs Kalifornier, und der Kollege von Wein drei hatte nicht nur Herkunft und Sorte sondern auch das Weingut richtig erraten. (Hut ab, noch heute, für den Mut sich das auch sagen zu trauen!). Nachdem sich die Verblüffung bei allen gelegt hatte, wurde es dann übrigens noch ein sehr fröhlicher (und feuchter) Abend…
…über die Wissenschaft…
Dieses Phänomen wurde übrigens auch schon wissenschaftlich erforscht. Dabei wurden geprüfte, „offizielle“ Weinverkoster gebeten, schwarze, undurchsichtige Gläser zu „testen“ und zu diesem Zweck das Aroma verschiedener Weine in diesen Gläsern beschreiben. Das es nicht um die Gläser ging, sondern um die Beeinflußbarkeit der Koster erfuhren sie nicht. Die dunklen Gläser sollten nämlich nur verhindern, daß die Verkoster sehen, ob sie Weiß- oder Rotwein im Glas haben.
Sobald den Verkostern gesagt wurde, es handle sich um Weißwein, förderten sie die klassischen Weißwein-Aromen zu Tage: Zitrusfrüchte, Äpfel, Steinobst und exotische Früchte. Und wenn ihnen gesagt wurde, sie hätten Rotwein im Glas, fanden sie treffsicher Himbeeren, schwarze Johannisbeeren, Brombeeren, Preiselbeeren und Co.
Und zwar unabhängig davon, ob sich Weißwein oder Rotwein in ihrem Glas befand.
Das zeigt nicht nur, wie leicht auch Profis zu beeinflußen sind. Sonder auch wie wenig Aussagekraft die überbordenden Fruchtvergleiche eigentlich haben, die sich in zahlreichen Weinpublikationen finden. Aus diesem Grund ist die Beschreibung der Aromen im Verkostungsschema des englischen Wine and Spirit Education Trust bzw. seines Partners, der Weinakademie Österreich (Seite 54) nur eines von vielen gleichwertigen Elementen.
…bis zum Sinn und Unsinn des Sortenratens.
Der „Heiteres-Sortenraten-Reflex“ entspringt dem Ehrgeiz, in einer Prüfungssituation (der Blindprobe) ein klares, eindeutiges und vor allem richtiges Ergebnis erzielen zu wollen.
Die Weinbeschreibung eignet sich dafür nämlich nicht. Schließlich kann einem eigentlich niemand sagen, ob eine Verkostungsnotiz „richtig“ ist, oder nicht. Selbst unter geübten Verkostern herrscht nicht immer Einigkeit über den Säuregehalt, den Alkohol, die Aromenvielfalt, die Qualität oder das Lagerpotential. Ein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt es innerhalb gewisser Grenzen nicht, schließlich ist und bleibt das Weinverkosten nun einmal eine sehr subjektive Sache. Die Richtigkeit von Sorten-, Jahrgangs-, Herkunfts- und/oder Produzentenangaben ist hingegen ist sehr leicht zu überprüfen und auch für Laien nachvollziehbar.
Diese objektive Überprüfungsmöglichkeit der eigenen Verkosterqualitäten fasziniert besonders angehende Verkoster. Die alten Hasen wissen, wie schwer und eigentlich unerheblich das Erraten von Sorten und Jahrgängen letztlich ist. Nicht umsonst ist dem WSET bzw. der Weinakademie Österreich eine umfassende Beschreibung samt Qualitätseinschätzung bei der Diploma-Prüfung rund 27 Punkte wert und die Angabe von Sorte, Jahrgang und Gebiet nur etwa sechs.
Nicht das die Typizität und Erkennbarkeit eines Weines für seine Qualität völlig unerheblich wäre. Ganz im Gegenteil! Aber um Weine halbwegs gezielt einer Sorte, einem Gebiet oder sogar einer Lage blind zuordnen zu können, muß man sich als Verkoster auf einen relativ kleinen Teil der Weinwelt konzentrieren und diesen sehr intensiv erkunden. Wenn man die ganze Weinwelt im Auge behalten möchte, gelingt eine Zuordnung nur mit mehr oder weniger grobem und vorurteilsbehafteten Schubladendenken und dementsprechend vielen Fehlern.
Schließlich kann man zum Beispiel in seinen Überlegungen, woher dieser eindeutig restsüße Riesling mit sehr niedrigem Alkohol kommen mag nicht auch noch an jene Hand voll Weine denken, die in Österreich in diesem Stil vinifiziert werden wenn es in Deutschland zehntausende davon gibt.
Und man kann nicht davon ausgehen, daß man gerade den einzigen Chardonnay aus Österreich mit 10 Prozent Alkohol im Glas hat, wenn man einen sehr leichten, zart duftenden Weißwein verkostet. Sondern muß nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip auf Grünen Veltliner oder Welschriesling tippen, die in dieser Stilistik sehr häufig vorkommen.
Schlechte Weine sind kaum einer Sorte oder Herkunft zuzuordnen, weil ihre rustikale, mehr oder weniger fehlerhafte Art jegliche Eigenheiten überdeckt. Und gut gemachte, saubere Alltagsweine sind meist ebensowenig zu erkennen, da sie weltweit mit den gleichen Methoden für die gleichen Geschmacksvorlieben gemacht werden. Sie sind sauber, mehr oder weniger fruchtig, überfordern niemanden mit ihrer Säure und ihrem Tannin und sind mittlerweile auch aus Übersee nicht mehr allzu holzüberladen.
Hochwertige Rotweine aus der Designer-Ecke sind auch meist sehr ähnlich. Oft spielt der Cabernet eine deutliche Rolle, praktisch immer der Einsatz von neuem Holz und die natürliche oder vom Kellermeister gewollte Überreife, Konzentration und Alkoholstärke.
Bleiben noch die sogenannten „Terroir-Weine“, von denen ihre Produzenten sagen, daß ihre Herkunft und deren Erkennbarkeit ein Qualitätsmerkmal bildet. Und tatsächlich gelingt es bei diesen Weinen manchmal, ihre Herkunft zu erahnen, dafür aber selten die Sorte. Schließlich geben die besten Vertreter dieser Gattung den Geschmack des Gebietes wieder – relativ unabhängig von der Rebsorte.
So lassen sich gute Bordeaux relativ leicht dem Gebiet zuordnen, aber oft nur schwer der dominierenden Rebsorte (CS, CF oder ME). Und Wachauer Smaragde haben meist ihren ganz eigenen, mineralisch-überreifen Stil, egal ob es sich um Riesling oder Veltliner handelt. Der normalerweise eher herbe Blaufränkisch gerät in Gols oft sehr weich und rund, während der an sich samtig-milde Zweigelt von den Lehmböden des Mittelburgenlandes gelegentlich überraschend sperrig ist.
All diese Dinge sind natürlich nicht neu. Und trotzdem gibt es immer wieder Verkostungen und Verkoster, die das Erraten von Rebsorten zur Königsdisziplin erheben. Wie widersprüchlich die Resultate dabei ausfallen können, kann man in dieser Diskussion bei Talk-About-Wine über die 3. Deutsche und Österreichische Meisterschaft im Weindegustieren nachlesen, die von der Zeitschrift Vinum und deren Partnern veranstaltet wird.
Während sich die Amateure dabei im heiteren Sortenraten messen, stehen viele Profis zur Fehlbarkeit ihrer Sorten-, Herkunfts- und Jahrgangsangaben. Wie jener Master-of-Wine, der einmal gefragt wurde, ob er schon jemals einen Bordeaux mit einem Burgunder verwechselt hätte (für Laien: zwei ziemlich gegensätzliche Rotweine).
Seine Antwort mit britischem Humor lautete: „Nicht seit dem Mittagessen.“
Vielen Dank für diesen ausführlichen Text – er ist mir aus der Seele geschrieben. Ich fände übrigens auch im Hinblick darauf eine Information über die Rebsorte(n) auf dem Etikett durchaus sinnvoll.
Die Karikatur des „Weinliebhabers“, der Ihrem Cabernet die Typizität abspricht, weil er nicht nach grünem Paprika schmeckt, haben wir sicher alle schon mal im Keller gehabt:-)))
„In allen Anklagepunkte für schuldig befunden, ….“ soll andesrum heißen, ich stimme dir in allem bei.
Aber wir als Menschen, messen und definieren uns aber doch gerne an Werten, Skalen od. Punktesystemen. Der Spieltrieb, in Bewerben der bessere zu sein, jemanden zu schlagen, da ists mit der Weinbeschreibung nicht weit her, da gehört doch dann schon das Wein-Eraten dazu :-).
Ich persönlich bevorzuge ersters.
Herzlichen Dank, Iris und aNdi!
Wie dieser Thread bei Talk-About-Wine zeigt, den Don Miguel (Danke, Don 😉 !) eröffnet hat, ist mein Beitrag offensichtlich nicht ganz unmißverständlich. Deshalb möchte ich Folgendes ergänzen:
1. Blindproben (mit oder ohne Eingrenzung des Themas) sind ein probates Mittel (eigentlich fast das einzige) um „professionell“ Wein zu verkosten. Aber deswegen ist nicht jede Blindprobe automatisch „professionell“ oder sinnvoll. Vor allem dann nicht, wenn sie sich weniger mit dem Einschätzen des Inhalts der Gläser, als mit dem Erraten der Aufschriften der Etiketten beschäftigt. Aus welchen Gründen auch immer. (Aber genausowenig ist jede Nicht-Blindprobe automatisch völlig unprofessionell.)
2. Gute Verkoster können die Sorte, den Jahrgang und die Herkunft eines Weines mehr oder weniger oft mehr oder weniger genau eingrenzen. Aber deswegen sind nicht alle, denen das seltener gelingt automatisch schlechte Verkoster.
Das Erraten von Sorte, Jahrgang und Herkunft ist in einer globalisierten Weinwelt allein ob der Vielzahl an Weinen und Stilen schier unmöglich. Wenn es manchmal doch gelingt, ist das oft Glück oder das Resultat von logischem Denken via Ausschlußverfahren. Die Aussagekraft derartiger Ergebnisse über die sensorischen Qualitäten eines Weines oder Verkosters hält sich aber in Grenzen.
Ein guter Verkoster
*kann die gängigen Weinfehler erkennen und benennen
*kann einen Wein umfassend, strukturiert und weitgehend nachvollziehbar beschreiben
*versucht beim Wein auch zwischen den Zeilen lesen und sich nicht von „Blendern“ täuschen zu lassen
*ist sich bewußt, das das trotzdem immer wieder passieren wird
*ist sich nicht zu gut, sich auch mit Alltagsweinen oder ungewohnten Weinstilen sensorisch zu beschäftigen
*hat einen gewissen Erfahrungsschatz, was das Potential und der Lagerfähigkeit eines Weines betrifft
*weiß, das trotzdem jede Prognose ein gewisses Maß an Kaffeesudleserei beinhaltet
*denkt immer daran, daß das Weinverkosten auch unter Profis ein mehr oder weniger großes Maß an Subjektivität beinhaltet
*verliert ob der Verkosterei nie die Freude am unkomplizierten Trinken ohne Degu-Hintergedanken und vergißt nie, daß Wein primär zum Trinken und nicht zum Verkosten erdacht und gemacht ist.
Wenn jemand gelegentlich (oder auch öfter) Weine blind erkennt, macht ihn das nicht zu einem besseren Verkoster. Das gilt auch für mich und mein Erkennen eines Weines samt Produzenten, den ich noch nie zuvor gekostet hatte. (In einer blinden Jahrgangsverkostung mit Weinen verschiedener Produzenten folgerten wir gemeinsam relativ einheitlich den Jahrgang 1986 und einen gewissen Holzeinsatz. Da ich mir bei der Herkunft Österreich relativ sicher war, kam eigentlich – logischer Schluß – nur das Weingut Bründlmayer in Frage, das als eines der ersten in den 80ern Weißwein, konkret Chardonnay, im Holz ausbaute.)
Und wenn der Tip daneben geht, macht das niemanden zu einem schlechten Verkoster. Auch mich nicht, der ich bei der Diplomprüfung der Weinakademie einen Tokajer mit einem Sherry verwechselt habe. Und regelmäßig Blaufränkisch und Zweigelt verwechselt. Und nicht nur einmal den eigenen Wein in der Blindprobe nicht erkannt hat. Und Welschriesling und Grünen Veltliner genauswenig statistisch gesichert auseinander halten kann wie Weißburgunder und Chardonnay.
Ja, so einer bin ich 😉
und, und, und, … ja da kann man noch viele hopalas – was sie ja eigentlich nicht sind – aufzählen. momentan od. letzes jahr ist mir aufgefallen viel weißes schmeckt irgendwie nach sauvignon blanc 🙂 . naja ich hoffe, das geht wieder schnell vorbei.
für mich ist das weinerkennen immer wie ein münzwurf – die beschreibung des weines mag ja gut und professionell sein – aber wenns dann ans „erraten“ geht, entweder man kommt hin und wird als weinprofi gefeiert, od. man liegt ziemlich daneben und wundert sich nur; die chancen stehen eigentlich gleich.
also in diesem sinne „flip the coin“ und viel glück, ……