Mit der heutigen 22. Etappe ist die Wein(blog)rallye wieder bei ihrem Erfinder Thomas Lippert vom Winzerblog gelandet. Traditionellerweise beschäftigen sich im Rahmen dieser Rallye alle deutschsprachigen Genussblogs die Lust dazu haben mit einem Thema, das der Ausrichter der jeweiligen Etappe vorgibt.
Thomas Vorgabe für die 22. Etappe sind „regionale Spezialitäten, flüssig, trinkbar und in eurer Region produziert“. Und auch wenn er dabei sogar Bier, Wasser, Schnaps, Tee, Kaffee, Limo oder Milch akzeptieren würde, kommt für mich natürlich nur Wein in Frage. Keines der anderen Getränke hat bei uns den Charakter einer regionalen Spezialität, der Wein dafür aber um so mehr.
An und für sich halte ich alle unsere Weine für regionale Spezialitäten, weil ich mich bemühe, durch eine zurückhaltende Kellerwirtschaft die geschmacklichen Eigenheiten von Boden und Klima im Wein zu bewahren.
Weil es aber selbstverständlich nicht der Sinn einer Weinrallye sein kann, meine eigenen Weine zu bewerben (dafür gibt es außerdem unsere Betriebswebsite, nicht diesen Blog), und weil Wein als Kategorie für regionale Spezialitäten doch etwas zu allgemein ist, beschäftige ich mich mit jenen Weinen, die ganz besonders regional speziell sind bzw. zumindest sein könn(t)en.
Ginge ich bei meiner Auswahl nach „Weinarten“ vor, müßte ich zweifellos über die hochgradigen Süßweine aus edelfaulen Trauben schreiben. Mit Beerenauslese, Ausbruch und Trockenbeerenauslese spielt das Burgenland am ehesten in der internationalen Liga der Top-Spezialitäten mit.
Ich möchte aber die Gelegenheit der Weinrallye nutzen, um über eine bestimmte Traubensorte zu schreiben. Denn bei all unserer Vielfalt an hochwertigen Sorten und dem allgemeinen Anspruch, regionaltypische Weine zu keltern, gibt es eine, die ganz besonders heraussticht:
Blaufränkisch
Wenn eine Sorte in der Lage ist, unsere Region mit all ihren Facetten im Glas schmeckbar zu machen, dann ist es der Blaufränkisch. Er hat Tradition, Eigenständigkeit und vor allem die Fähigkeit zur feinen Nuance.
Natürlich gibt es ihn auch anderswo: Im deutschen Württemberg als „Lemberger“, in den Nachfolgestaaten der Doppelmonarchie, ja sogar in Washington State in den USA.
Am ehesten ausgeschöpft wird sein Potential aber im westpannonischen Raum, also dem Burgenland, einer kleinen Enklave im benachbarten Weinbaugebiet Carnuntum und in Sopron/Ödenburg, der historischen Hauptstadt der Region, von der uns seit 1921 die Grenze zwischen Österreich und Ungarn trennt.
Tradition
Lange Zeit war der Blaufränkisch in vielen Kellern der Region die einzige Rotweinsorte. St. Laurent und Pinot Noir sind zwar ebenfalls schon sehr lange im Burgenland beheimatet, spielten aber nur eine recht kleine Nebenrolle. (Auch wenn beide an Fläche gewonnen haben, hat sich daran bis heute wenig geändert.)
Woher der Blaufränkisch kam, läßt sich wie bei den meisten traditionellen Reben nicht sagen. Und auch woraus er entstanden ist, konnte bisher nur zum Teil geklärt werden. Eine seiner Elternsorten dürfte die alte, im Mittelalter in ganz Europa verbreitete Sorte Heunisch sein.
Der Blaufränkisch selbst wiederum ist ein Elternteil des Zweigelt, der ab den 1960er-Jahren österreichweit massiv ausgepflanzt wurde und relativ schnell die bis dahin wichtigsten Rotweinsorten Blaufränkisch und Blauer Portugieser in der Sortenstatistik überholt hat.
Auch im Burgenland konnte der Zweigelt Fuß fassen, nicht zuletzt, weil er zugänglichere Weine erbringt, als der Blaufränkisch. Im Weinbaugebiet Neusiedlersee, in dem bis in die 70er-Jahre nur sehr wenig Rotwein produziert wurde, schaffte es der Zweigelt sogar zur Nummer 1.
Trotzdem gibt es nur wenige burgenländische Winzer, die den Blaufränkisch nicht als hochwertiger erachten. Auch deshalb landen die besten Zweigelt-Chargen in den allermeisten Fällen in Cuvées, während es (mittlerweile) beim Blaufränkisch doch auch eine größere Gruppe an reinsortigen Spitzenweinen gibt.
Zweifel
Der Glaube an die Qualitäten des Blaufränkischen war aber längst nicht immer vorhanden. Im ersten Jahrzehnt des österreichischen Rotweinwunders, also etwa von Mitte der 1980er- bis Mitte der 90er-Jahre, überwogen in sehr vielen Winzerköpfen eher die Zweifel, ob es mit dem Blaufränkisch jemals gelingen könnte, international anerkannte Rotweine zu keltern.
Es war die Zeit des Cabernet, etwas später (und weniger stark wahrgenommen, dafür aber anhaltender) die des Merlot und in der Endphase auch jene des Syrah. Wer internationale Spitzenweine keltern möchte, braucht dazu internationale Spitzensorten, lautete das Credo. Blaufränkisch war dagegen nur ein zuverlässiger Alltagswein im unteren und mittleren Preisbereich, bestenfalls „Füllmaterial“ für die teuren Cuvées.
Man wähnte sich auf dem richtigen Weg. Schließlich dominierten reinsortige Cabernets und Cuvées mit hohen Anteilen der internationalen Sorten die Ergebnislisten der (heimischen) Wettbewerbe. Da konnte es doch nur eine Frage der Zeit sein, bis die Qualität dieser Weine auch jenseits der Grenzen wahrgenommen werden würde.
Rückbesinnung
Aber die große Anerkennung blieb aus. Internationale Meinungsbildner konstatierten zwar immer wieder eine deutlich gestiegene Qualität der österreichischen Rotweine, bemängelten aber meist im selben Atemzug deren Austauschbarkeit und die zu starke Prägung durch den Barriqueausbau.
Wodurch Trends und Weinmoden ausgelöst werden, läßt sich nie genau sagen. Ein wichtiger Faktor für die Rückbesinnung auf den Blaufränkisch war aber zweifellos dieses internationale Feedback. Zur gleichen Zeit ging auch die weltweite Cabernet-Mode zu Ende, gleichzeitig setzte aber fast überall ein enormer Rotweinboom ein.
Flächenmäßig hat in Österreich der Zweigelt von diesem Boom am stärksten profitiert. Der Blaufränkisch aber konnte in dieser Phase am meisten Anerkennung gewinnen. Spätestens ab Ende der 1990er begannen viele Winzer der Region den Blaufränkisch wieder stärker in den Vordergrund zu stellen.
Auch wenn die allermeisten dieser Weine immer noch sehr „international“ ausgebaut wurden, waren sie aber immerhin aus der Traditionssorte gekeltert. Bei entsprechender Pflege und Ertragskontrolle im Weingarten war dem Blaufränkisch also doch genug Substanz und eine edle Tanninstruktur zuzutrauen.
Neues Selbstbewußtsein
Bis heute haben viele Betriebe die internationale Ausbauweise (d.h. eine eher wuchtige mit nicht zu hoher Säure und deutlich schmeckbarem Holzeinsatz) des Blaufränkisch perfektioniert und erhalten dafür regelmäßig sowohl in Österreich als auch im Ausland gute Noten.
Die Topstars der Weinmedien sind aber gerade in den letzten zwei, drei Jahren andere. Mehr oder weniger heimlich, still und leise haben sich nämlich einige wenige Kollegen einem puristischen Blaufränkisch-Stil verschrieben, der bei manchen Profi-Verkostern offenbar sehr gut ankommt, auch wenn er nicht unbedingt dem Typus eines klassischen Blindverkostungssiegers entspricht.
Geschickt als avantgardistische Gegenbewegung zum Mainstream in Szene gesetzt, propagieren sie einen wesentlich schlankeren, von der Säure getragenen und mit wenig Holzeinsatz vinifizierten Stil der Traditionssorte Blaufränkisch.
Und wurden prompt mit der bislang höchsten Punktebewertung des Wine Advocate für einen österreichischen Rotwein belohnt, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass die Weine nicht von Robert Parker himself, sondern von seinem Assistenten David Schildknecht verkostet wurden. Während Parker nämlich eher üppige Weine bevorzugt, scheint Schildknecht das feingliedrig-würzige dieser Blaufränkischen besonders zu mögen.
Und die Zukunft?
Wirklich mehrheitsfähig scheint mir diese „reine Blaufränkisch-Lehre“ aber nicht zu sein. Der Grat zwischen „feingliedrig“ und „dünn“, zwischen „gut strukturiert“ und „sauer“ und zwischen „fruchtbetont-würzig“ und „unreif-grün“, auf dem sich diese Weine bewegen, ist schmal.
Die Konsumenten-Zielgruppe, die dazwischen unterscheiden kann und will, ist klein. Und die Zahl der Winzer, die den Balanceakt schaffen will und kann ist wohl auch nicht besonders groß.
Trotzdem ist diese Entwicklung der jüngeren Blaufränkisch-Geschichte ein wichtiger Impuls, der die Bedeutung des Blaufränkisch als eigenständige Spezialität unserer Region weiter steigern wird.
Mit etwas Glück gibt es in den kommenden Jahren (wieder) vermehrt Einstiegsweine aus der Sorte, die mit 13 oder weniger Prozent Alkohol auskommen, und deren Säure und Tannin nicht völlig glattgebügelt sind. Und Spitzenblaufränkische, deren Würze überwiegend von der Traube und nicht vom Toasting der Barriques stammt.
Auch wenn es angesichts seiner langen Geschichte und vor allem der enormen Qualitätsentwicklung der letzten 25 Jahre vermessen erscheint: Ich glaube, dass der burgenländische Blaufränkisch seine beste Zeit erst vor sich hat.
Tolle Abhandlung über den Blaufränkisch, die gleichzeitig viel über die Mechanismen der „Weinmoden“ erzählt – super Beitrag! Viele Grüße, Lars.
Ich schließe mich an: schöne Abhandlung! Ich mag den Blaufränkisch sehr – aber selbst in den meisten Weinlokalen hier in Norddeutschland trifft man ihn nur selten an. Und wenn, dann probiere ich ihn auch meistens.
Danke für den schönen Beitrag, Bernhard. Blaufränkisch kannte ich nur vom Namen – gibt es Deines Wissens ein Äquivalent (oder einen nahen Verwandten) unter den französischen Rebsorten?
Du hast den Verlauf der Moden sehr gut beschrieben. Im französischen Appellationssystem, wo die Rebsorten ja sehr strikt vorgeschrieben werden und es bisher nicht einmal erlaubt war, bestimmte Rebsorten, wie z.B. den Riesling, der hier als Champagner und Elsassmonopol geschützt war, einmal irgendwo anders auszuprobieren, haben sich ja Cabernet und Merlot auch über die Landweine bis in den Süden ausgebreitet.
Es würde mich interessieren, einmal eine Vergleichsprobe der verschiedenen Ausbauarten dieses Blaufränkisch zu probieren.
Wie sieht’s denn bei den Unterschieden in den Ertragsmengen aus? Das beeinflusst meiner Erfahrung nach das Ergebnis oft weit mehr, als die Kellerarbeit – und könnte auch die von Dir konstatierte schmale Gratwanderung zwischen fein und dünn erklären…
Auch wenn es jetzt langsam nervig werden könnte. Auch ich muss nochmal ein kompliment zu dem guten und interessant verfassten Beitrag zur 22. Weinrallye geben. Super geschrieben! Danke!
Auch von mir herzlichen Glückwunsch für die wirklich treffende Analyse, Bernhard!
@ Iris:
Die Herkunft des Blaufränkers ist wirklich ungeklärt. Früher einmal hieß es, dass er mit Gamay verwandt (wenn nicht gar identisch) wäre, war aber nicht stimmt. (Der Blaufränker wird in Bulgarien angeblich heute noch „Gamé“ genannt.) Der von Bernhard erwähnte Elternteil „Heunisch“ heißt französisch „gouais blanc“.
Ich mail Dir das Manuskript zu meiner Blaufränkisch-Geschichte, die ich in „A la Carte“ Ausgabe 4/2008 geschrieben habe, das ist vielleicht eine kleine Ergänzung.
Sehr gelungener Beitrag!
Ich hatte erst vor kurzem das Vergnügen überraschend bei einer hochkarätig besetzten (Sommeliers, Weinjournalisten..) Verkostung von burgenländischen Spitzen-Rotweinen dabei sein zu dürfen. Vor allem waren es Blaufränkische verschiedener Jahrgänge (bis 1991) und Ausbauweisen. Auch hier kamen (bei der Mehrheit, nicht bei allen) die puristischen BFs sehr gut an.
Auch ich musste, bis dahin eigentlich kein BF Fan, meine Meinung gründlich ändern! Die jungen BFs sind noch immer nicht so mein Fall, aber wenn sie reifen… mmmmhhhh
Die Überraschung des Abends aber war nicht ein BF, sondern ein Zweigelt. Der einzige ZW des Abends, Jahrgang 1997 (wenn ich mich recht erinnere). Kein Holzeinsatz, keine Qualtiätskontrolle, kein Aufwand, denn als günstiger Wein gedacht… Doch der fand Gefallen!!!!
Und löste eine Diskussion aus, ob man den Zweigelt nicht unterschätzt, ob er nicht mehr könne… Ich bin ja schon lange dieser Ansicht. Meistens ist er eben nur der Schankwein, oder irgendwo hineingemischt. Manch einer will auch zu viel und der ZW wirkt aufgeblasen oder Holz überdeckt den Geschmack. Puristisch tut wohl nicht nur dem BF, sondern auch dem ZW gut.
Vielleicht erreicht dann der Zweigelt auch einmal (zumindest annähernd), was der Blaufränkische schon geschafft hat… als Großer Wein zu gelten.
Lg Alexandra
Der Beitrag ist wirklich gut geschrieben. Gefällt mir! So erfährt man tatsächlich einiges mehr über den Blaufränkisch
Herzlichen Dank für die vielen Kommentare und natürlich vor allem für die Blumen!
Bernhard Fiedler